Anna Bergold: An den Grenzen »unberührter« Natur
von Christina Töpfer
»Bilder der Auseinandersetzung« 4|2023. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«
Seit 2019 verfolgt Anna Bergold in Fast Lane (Arbeitstitel) den Bau eines neu entstehenden Autobahnabschnitts, dessen Elemente sich wie Eindringlinge in die Landschaft Mitteldeutschlands einschreiben und der zugleich exemplarisch für ähnliche Bauprojekte andernorts steht. Menschen sind in den Fotografien nicht zu sehen, doch ist ihre Präsenz jedem einzelnen Bild inhärent. Gerodete Waldstücke, scheinbar völlig zusammenhanglos asphaltierte Flächen, aufgeschüttete Kieshaufen, sich skulptural über Wälder und Wiesen erhebende Brückenpfeiler, Ansammlungen verschiedenster Bauelemente prägen die Bilder, die sowohl schwarz-weiß als auch in Farbe, im Kleinbild- wie auch im Mittelformat aufgenommen wurden.
Diesen Aufnahmen stellt die Künstlerin Herbare von am Rande der Großbaustellen gesammelten Pflanzen gegenüber: Kleeblätter, Raps, Pusteblumen, verschiedene Gräser und viele mehr werden auf Braunpappe geklebt, gepresst und schließlich zur Vorlage für Cyanotypien. Im Ausstellungskontext stellt Bergold jedoch nicht die in diesem frühen fotografischen Verfahren belichteten Bilder aus, sondern Schwarz-Weiß-Kopien davon; sie thematisiert damit den Prozess ihrer Vervielfältigung. Die Fragilität und Vergänglichkeit der so fixierten und reproduzierten Pflanzenteile steht im Kontrast zu der Brachialität und »Wuchtigkeit« der in den Fotografien sichtbaren Bauten.
Wie auch in anderen Serien, die oftmals über einen längeren Zeitraum entstehen und durch den Menschen initiierte Transformationsprozesse dokumentieren, knüpft Anna Bergold in Fast Lane an die Mitte der 1970er-Jahre in den USA aufkommende Bildtradition der New Topographics an. Deren Auseinandersetzung mit »man-altered landscapes« stellte einen Wendepunkt in der Wahrnehmung von Landschaft dar. Jenseits der Idee einer »unberührten« Natur werden die kulturellen, menschgemachten Begrenzungen sichtbar, denen die Landschaft als Folge der wirtschaftlichen Erschließung und Nutzbarmachung ausgesetzt ist. Bergolds Fotografien machen bewusst, welchen Preis wir als Gesellschaft für die Vereinfachung des Alltags und die schnelle Verbindung von Menschen und Regionen zu zahlen haben.
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