Während seit mehr als einem Jahr Staaten weltweit um ihre jeweilige Position zum Krieg in der Ukraine ringen, gelingt es der Türkei, einen bemerkenswerten Balanceakt zu vollziehen, fast wie bei einem Seiltanz. Ankara wird in diesen Tagen einerseits von der Ukraine als Schlüssel für ihre Sicherheit, andererseits von Russland als Vermittler nach Europa angesehen. Schon im März und Mai letzten Jahres initiierte die Türkei Friedensgespräche zwischen der Ukraine und Russland. Wenige Monate später konnte sie mit der Einigung zur Ausfuhr von ukrainischem Getreide einen großen internationalen Erfolg erzielen. Doch während sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan als Friedensstifter inszeniert, tobt weitgehend unbemerkt ein weiterer Krieg.
Etwa 1.185 Kilometer weiter südlich vom ukrainischen Cherson befindet sich das auf syrischem Staatsgebiet gelegene, kurdische Efrîn. Die Stadt und die Region ringsum stehen seit über fünf Jahren unter der Besatzung der Türkei und einer verbündeten islamistisch-jihadistischen Söldnermiliz. Während des gesamten syrischen Bürgerkriegs und des Kriegs der internationalen Koalition gegen den sogenannten Islamischen Staat (Daesh) bot Efrîn den arabischen und kurdischen Binnengeflüchteten Schutz – nachdem sich das syrische Regime zu Beginn des Bürgerkriegs aus Nordsyrien zurückgezogen hatte, war die Region unter der Kontrolle einer neuen Selbstverwaltung. Aus einer Allianz zwischen Kurden, Arabern, Assyrern und Turkmenen gingen die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, SDF) hervor, eine Selbstverteidigungsarmee für die entstandene Autonome Administration Nord- und Ostsyrien, die seitdem von den USA unterstützt wird. Davon unbeeindruckt startete die Türkei im Jänner 2018 ihre Invasion in Efrîn und betreibt seitdem mithilfe islamistischer Milizen die Vertreibung der kurdischen Mehrheitsbevölkerung.
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