Gegen jeden
Widerstand

von Bernard Schmid

Illustration: Ūla Šveikauskaitė

Auch monatelange Proteste konnten die Pensionsreform in Frankreich nicht verhindern. Präsident Emmanuel Macron hat die Kapitalinteressen erst einmal befriedigt, doch das Land kommt nicht zur Ruhe.


2601 wörter
~11 minuten

Verabschiedet, angenommen, vom Verfassungsgericht abgesegnet und seit dem 15. April dieses Jahres auch im Amtsblatt Journal officiel veröffentlicht: Zumindest formal ist die französische Pensionsreform damit »durch«. Ein Großteil der Franzosen aber lehnt das Gesetzeswerk von Staatspräsident Emmanuel Macron weiter ab. Laut Umfragen sind 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung gegen die Reform, unter den abhängig Beschäftigten steigt die Ablehnung sogar auf Werte um die 90 Prozent.

Als Macron am Abend des 17. April eine TV-Ansprache hielt, in der er seinen Willen bekundete, nunmehr »das Blatt zu wenden«, ein neues innenpolitisches Kapitel aufzuschlagen und die Debatte über diese Reform doch bitte schön als erledigt zu betrachten, flammten sogleich neue Proteste auf – mit leicht verändertem Charakter. Standen im Jänner und Februar 2023 noch eher von den Gewerkschaftsverbänden ausgerufene Demonstrationen mit Massenbeteiligung im Vordergrund und im März punktuelle Streiks in einigen Sektoren (Eisenbahn, Raffinerien), so prägten zuletzt mehr oder minder spontane lokale Proteste das Bild. Es begann an besagtem Tag der Fernsehansprache Macrons: Anstatt auf die Bildschirme zu starren, strömten Tausende von Menschen auf die Straßen und Plätze, um auf Kochtöpfe und Pfannen zu schlagen und mit dem Lärm die Übertragung zu übertönen. Die Ansage lautete: Wir hören dir nicht zu, wir erfahren ohnehin nichts Interessantes dabei. Seitdem ist jeder – zumindest jeder angekündigte – Präsidenten- oder Ministerbesuch von Lärm und Tumult geprägt. Macron verließ etwa die Stadt Vendôme westlich von Paris Ende April fluchtartig im Helikopter, anstatt wie geplant ein Bad in der Menge zu nehmen. Am 8. Mai war er zu Besuch in Lyon für eine Gedenkfeier, dort versammelten sich rund 5.000 Menschen für eine Demonstration gegen ihn. Unterdessen stufte die Rating-Agentur Fitch in den letzten Apriltagen die Bonität des französischen Staates um eine Stufe auf »AA-« herunter. Offensichtlich rechnet man bei Fitch mit länger anhaltenden, womöglich ausufernden Protesten.

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