Liebe neu denken

von Stefanie Klamuth

477 wörter
~2 minuten
Liebe neu denken
Emilia Roig
Das Ende der Ehe
Für eine Revolution der Liebe
Ullstein, 2023, 384 Seiten
EUR 23,70 (AT), EUR 22,99 (DE), CHF 31,50 (CH)

Die feministische Kritik der bürgerlichen Kernfamilie und Ehe reicht viele Jahrzehnte zurück. Marxistische Feministinnen wie Clara Zetkin, Adelheid Popp, Alexandra Kollontai oder Elfriede Friedländer (Ruth Fischer) haben bereits vor über 100 Jahren für die damalige Zeit umfassende Kritiken formuliert. Zu nennen wäre auch die österreichische Anarchistin und Feministin Olgar Misař, die 1919 mit Neuen Liebesidealen entgegen radikale Alternativen zu gängigen Liebes- und Beziehungsvorstellungen entworfen hat.

Das Ergebnis dieser jahrzehntelangen feministischen Kämpfe ist bekannt: Die bürgerliche Kernfamilie mit der Ehe zwischen Cis-Mann und Cis-Frau als »normalem«, auch juristisch privilegiertem Rahmen existiert bis heute, wenngleich einige rechtliche Verbesserungen für Frauen erkämpft werden konnten. Feministinnen sind es gewohnt, ihre Kämpfe an nächste Generationen weiterzugeben, sie wissen zugleich um die Ausdauer des bürgerlich kapitalistischen Staates und seiner Verteidiger.

Emilia Roig hat mit Das Ende der Ehe einen lesenswerten Beitrag zu dieser nicht ganz neuen Debatte um die Abschaffung der patriarchalen Institution Ehe vorgelegt. Auch sie knüpft an verschiedene Vorkämpferinnen an, nimmt in ihren Ausführungen immer wieder Bezug auf vergangene Kämpfe um Befreiung, auch wenn sich ihr »Ensemble« stärker an westliche ikonische Figuren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hält wie bell hooks, Shulamith Firestone, Andrea Dworkin oder Simon de Beauvoir. Vor allem ihr queerfeministischer Blick und das Aufbrechen eines Denkens in binären Geschlechtern zeichnen Roigs Analysen aus. Darin unterscheidet sie sich auch wesentlich von den meisten historischen Vorkämpferinnen.

Die in Das Ende der Ehe verhandelten Themen gehen weit über reine Bestandsaufnahmen der bürgerlichen Ehe hinaus, denn es ist keinesfalls so, dass Roig in der Abschaffung dieser Institution die endgültige Lösung patriarchaler Unterdrückung sieht. Die bis heute dominante Vorstellung von Ehe, die um die weiße, heterosexuelle Mittelschicht entstand und die die Disziplinierung und Unterdrückung von Frauen fortschrieb, ist nur einer der Steine, die wir als Gesellschaft aus dem Weg räumen müssen. Daher verhandelt Roig weitere, tief mit Kapitalismus und Patriarchat verschränkte Themen wie Rassismus, Kolonialismus, Sexismus, Queer- und Transfeindlichkeit, Klasse, Klassismus, Arbeit, Sexualität, Macht und Trauma.

Roig bettet ihre Kritik der Ehe in politische Kontexte ein und nähert sich im Verlauf des Buches immer mehr der Frage, wie eine »Revolution der Liebe« gelingen könnte. Leider bleiben viele ihrer Vorschläge vage oder betreffen nur die Sphäre gesetzlicher Rahmenbedingungen wie die Abschaffung des Ehegattensplittings oder die Einführung einer »feministischen Lohnlückensteuer«. Zwar bemerkt die Autorin, dass diese Maßnahmen für sich genommen keine Revolution bedeuten, sie würden allerdings dazu beitragen, die gegenwärtige Situation vieler (verheirateter) Frauen spürbar zu verbessern.

Wer auf der Suche nach einer queeren, kämpferischen, intersektionalen Lektüre ist, die dazu einlädt, Utopien zu denken, dem sei das Buch ans Herz gelegt, denn schließlich brauchen wir alle eine »Revolution der Liebe«.

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