Frittierzeitalter

von Sabine Scholl

459 wörter
~2 minuten
Frittierzeitalter
Ilija Matusko
Verdunstung in der Randzone
Suhrkamp, 2023, 238 Seiten
EUR 17,95 (AT), EUR 17,00 (DE), CHF 23,90 (CH)

»Müsste ich diesen Text nicht ganz anders schreiben, denke ich plötzlich, ohne künstlerischen Anspruch, ohne Raffinesse – weil diese stets Ausdruck einer vermeintlich überlegenen Position sind? Oder würde ich umgekehrt mit einer einfachen, direkten Sprache (›Egal was du tust, werde nie Autor‹) etwas simulieren? Einen Bezug zur Arbeiterwelt vortäuschen, von der ich längst abgeschnitten bin?«

Dieses Dilemma treibt Ilija Matusko, Jahrgang 1980, aufgewachsen im Gasthaus der Eltern, um. Der studierte Soziologe, sein Vater Kroate, die Mutter Deutsche, forscht seiner Herkunft nach, tastend, bruchstückhaft, setzt, als Zeichen seiner Unzugehörigkeit, mit Überlegungen zu Fett, Pommes, Essensgerüchen an Kleidern und Körper ein. Skizzenhafte Szenen des Recherchierens und Erinnerns folgen, Zitate von Pierre Bourdieu bis Chantal Jaquet, Beschreibungen von Räumen, Wegen, Fotografien, losen Begegnungen, Aufzählungen, Listen. Später dann Gespräche mit Vater, Schwester, Halbbruder in Kroatien. Matusko will nichts behaupten, nichts vorgeben, sich nicht festlegen und bleibt dabei meist lau. Die Leidenschaft gilt vor allem den vielen Pommes, die im Laufe dieses Berichtens verspeist werden.

So beachtlich es ist, Herkunft zum Untersuchungsgegenstand zu machen und damit bereits erfolgte Anpassungs- und Verschleierungstechniken auffliegen zu lassen, die distanzierte Haltung des Erzählers lässt eine nicht warm werden mit diesem Text, der weder journalistisch noch soziologisch ist und auch nicht literarisch wird, was wohl an Matuskos Ablehnung dieser Rolle liegt, die er als Arbeit von Privilegierten für Privilegierte erlebt. Schriftstellern mit derartigem Habitus tritt er an entsprechenden Orten gern mit Krautsalat entgegen.

Dennoch werden wichtige Themen angerissen, wie das Aufstiegsmärchen, die Konsumwelt des Prekariats, die auf einem System von Ausschlüssen basierende Szene zeitgenössischer Kunst, die Herkunftsscham, die für Außenseiter geschlossenen akademischen Zirkel oder die Erbenfrage, und das durchaus pointiert: »Wie kommt es, dass wir alle zusammen abgewetzte Hosen und Bundeswehr-Parkas trugen, schwarzgefahren sind, billige Biere am Späti tranken, auf Sperrmüllmöbeln saßen, uns in Clubs schmuggelten, Pommes in billigen Buden aßen – und nun manche von uns in den Skiurlaub in die Schweiz fahren?«

Matusko ist auch reflektiert genug, um die Diskrepanzen seines Schreibens zu bemerken, bindet sogar Absagen von Agenturen und Verlagen ein, aber allein die Kritik an derartiger Verlagspolitik, die im Dienste der Diversität auch Vertreter des sogenannten Prekariats publiziert, solange das im Trend liegt, löst seinen Zwiespalt nicht. Die Frage, die Matusko sich zu Anfang stellt: »Wie schreibt man von einem Ort aus, der sich ›zwischen den Klassen‹ befindet?«, bleibt offen. Nachdem wir im Laufe des Buches viel über den Vater erfahren haben, endet es mit einem Paukenschlag, als der Erzähler erwähnt, dass er seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter hat. Das lässt erahnen, dass die wirkliche Selbstentblößung vielleicht hier beginnen könnte.

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