Literatur
der Arbeitswelt

von Iuditha Balint

KRITIK & ZÄRTLICHKEIT #1 | Die neue Literatur der Arbeitswelt übt Systemkritik, ist aber auch zärtlich.

Arbeit ist unsexy, staubig und uninteressant – die Literatur der Arbeitswelt auch. Also alle Literatur, die sich mit Arbeit beschäftigt, ob etwa mit bäuerlicher, industrieller, künstlerischer, unternehmerischer Tätigkeit, Dienstleistung oder Ehrenamt. Zumindest wird das oft behauptet. Von einem bürgerlichen Publikum, das dabei, an der bürgerlichen Schreibweise von Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann geschult, Inhalt wie Form im Blick zu haben scheint. Die Literatur der Arbeitswelt sei weder inhaltlich noch formal ein großer Wurf. Goethe und Mann schrieben beide über Arbeit – die Wilhelm Meister-Romane oder die Buddenbrooks als uninteressant und formal einfältig abzutun wäre absurd. Kann Arbeit also doch noch sexy und formal spannend sein? Bürgen könnten dafür Vicki Baum, Bertolt Brecht, Daniela Dröscher, Dinçer Güçyeter und viele mehr. Oder auch alle, die 2022 beim Bachmannpreis vorgelesen haben.

Als ich mich mit dem Werkkreis Literatur der Arbeitswelt und überhaupt mit Texten aus den 1970ern beschäftigte, die ich zunächst wirklich uninteressant fand, merkte ich schnell, wie intersektional seine Themen waren, wie vielfältig die Vermittlungsformate, seine Erzählformen und Ästhetiken. Heute über Arbeit zu schreiben bedeutet, sich mit künstlicher Intelligenz, Rassismus, Kolonialismus, Klassismus, Migration, Klimawandel oder Care zu beschäftigen. Mit virulenten Themen, die Gesellschaft und Individuum gleichermaßen betreffen. Bis auf die Digitalität und Postmigration sind es auch Themen des Werkkreises gewesen, die jetzt in neuem Gewand aus neuen Blickwinkeln, theoriebewusster und sensibler betrachtet wiederkehren.

Die neue Literatur der Arbeitswelt übt Systemkritik, sie ist aber auch zärtlich. Sie begegnet ihren Figuren mit Sanftmut, begrüßt Solidarität zwischen und mit ihnen. Martin Beckers Mutterfigur, Jana Volkmanns Schreinerin, Berit Glanz’ Clickworkerin, Dinçer Güçyeters Arbeiterinnen, allen haftet ein Ausdruck erzählerischer Zuneigung an, die uns ihnen atemlos, selbstvergessen zuschauen lässt: beim Fernsehen, Schnitzen, Schlafen oder Kochen, im Alltag und bei der Arbeit. Das schafft Empathie und schärft den Blick fürs Detail. Auch für die Kritik am Ganzen. Wir denken nach. Das kann diese Literatur ziemlich gut.

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