Sittlicher Sozialist

von Georg Spitaler

476 wörter
~2 minuten
Sittlicher Sozialist
Alexander Spritzendorfer
Karl Seitz
Bürgermeister des Roten Wien. Eine Biografie
Falter-Verlag, 2023, 272 Seiten
EUR 29,90 (AT), EUR 29,90 (DE), CHF 40,50 (CH)

Als Bürgermeister im Roten Wien (1923–1934) ist Karl Seitz bis heute bekannt. Dass der ehemalige Lehrer aber auch Vorsitzender der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei war, 1919 bis 1920 Präsident der Nationalversammlung und somit erstes Staatsoberhaupt der Republik, wissen vermutlich nur wenige. Die Lücke einer zeitgemäßen Biografie des Politikers schließt nun nicht eine Historikerin oder ein Politologe, sondern der Grünpolitiker und frühere Musikmanager Alexander Spritzendorfer. Die Wiederentdeckung von Seitz außerhalb der SPÖ-Parteigeschichte ist dabei kein Zufall: Seine Karriere steht sinnbildlich für jene frühe Allianz von Aufklärung und Arbeiterinnenbewegung, die auch die Epoche des Roten Wien prägte und die in den letzten Jahren wieder ein verstärktes Interesse geweckt hat.

Geboren 1869, wuchs Seitz in verarmten Verhältnissen in Wien auf, mit elf Jahren muss er als »Kostkind« ins Waisenhaus. Die Ungerechtigkeiten der Drillschule prägen ihn, doch der hochbegabte Jugendliche wird auch gefördert und kann eine Lehrerausbildung ablegen. Rasch gerät er in Konflikt mit den Obrigkeiten, beteiligt sich an der Organisierung reformorientierter Pädagoginnen, engagiert sich im Kampf für eine Trennung von Kirche und Staat in Schulfragen. Die diesbezüglichen Auseinandersetzungen mit dem christlichsozialen Bürgermeister Wiens, Karl Lueger, führen zum Ende seiner Lehrerkarriere. 1901 wird Seitz – unter den erschwerten Bedingungen des Kurienwahlrechts – als sozialdemokratischer Abgeordneter in den Reichsrat gewählt, am Ende der Monarchie ist er bereits einer der Vizepräsidenten.

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