Milei bei seiner Amtseinführung auf dem Balkon der Casa Rosada. (F.: Lasalvia/AFP/Picturedesk)

Der Überzeugungstäter

von Tobias Boos

Javier Milei steht für einen wahnhaften Wirtschaftsliberalismus, der nicht nur Bürgerliche erreicht, sondern auch für rechte junge Männer und unterprivilegierte Menschen zunehmend anschlussfähig ist.


2188 wörter
~9 minuten

Die Volkswirtschaften des Westens: gefangen und auf dem Weg in den Sozialismus. Marktversagen: ein Oxymoron! Von Kommunisten und Sozialdemokraten über Faschisten und Nazis bis hin zu Keynesianern, Nationalisten und Globalisten: alle bloß Varianten des gleichen Kollektivismus. Diese Thesen wurden vom argentinischen Präsidenten Javier Milei Ende Jänner auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos doziert (siehe dazu auch den Beitrag von Christian Dürr ab Seite 14). Donald Trump, Elon Musk oder auch Marcos Galperín, der reichste Mann Argentiniens, jubilierten, andere fanden seinen Auftritt hingegen bizarr bis peinlich. Unstrittig ist: Milei ist überzeugt von dem, was er propagiert.

Um den ehemaligen TV-Ökonomen ranken sich schillernde Anekdoten. Sie erzählen vom Schwingen der Kettensäge, geklonten Hunden, Cosplay-Auftritten als Captain Ancap oder von einem Medium, das Milei mit den Toten sprechen lässt. Seine ökonomischen Überzeugungen sind allerdings nicht weniger schrill. Und Milei folgt ihnen wie religiösen Glaubenssätzen. Der Präsident Argentiniens ist auf einer Mission. Doch wohin führt diese?

Als Javier Milei im Dezember letzten Jahres das Präsidentenamt übernahm, befand sich das Land erneut in einer tiefen Krise. Die strukturellen Probleme der argentinischen Wirtschaft reichen Jahrzehnte zurück. Milei will die gegenwärtige Krise dazu nutzen, den Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in hohem Tempo voranzutreiben. Je größer das Leiden, desto stärker die Einsicht, dass sich radikal etwas ändern muss, ist das Kalkül. Denn Mileis Pläne für die argentinische Wirtschaft gleichen einer Abrissbirne. Spielte die heimische Industrie bisher noch immer eine wichtige Rolle, zielen Mileis Maßnahmen auf Rohstoffexporte und billige Dienstleistungen ab. Hinzu kommen Pläne für die Privatisierung staatlicher Betriebe, die Öffnung geschützter Sektoren für das internationale Kapital, die Abschaffung von Subventionen für öffentliche Dienstleistungen und das Ende öffentlicher Infrastrukturprojekte. Ziel all dieser Maßnahmen ist es, bei gleichbleibenden Löhnen die lokalen an die internationalen Preise anzupassen. Am Ende soll die Dollarisierung der argentinischen Ökonomie stehen, also der US-Dollar als Ersatz für eine eigene Landeswährung eingeführt werden. Sie würde das neue Wirtschaftsmodell zementieren.

Um diese Pläne durchsetzen zu können, müssen die Rechte der Lohnabhängigen radikal beschnitten, Protestmöglichkeiten unterdrückt und der Widerstand der Gewerkschaften gebrochen werden. Die aktuelle Inflation – bzw. die Gefahr einer Hyperinflation – dient Milei als Begründung für seine Maßnahmen und als Disziplinierungsmechanismus gleichermaßen. Milei versteht Inflation als ein ausschließlich geldpolitisches Phänomen, das verschwände, sobald man das Haushaltsdefizit und dessen Finanzierung durch die »Notenpresse« stoppte. Bis dahin dient sie als willkommener Mechanismus, um Löhne zu drücken. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF)mahnte deshalb zuletzt zur Umsicht und dazu, die Folgen der Maßnahmen auf sozialer Ebene besser abzufedern. Die Regierung hatte angekündigt, nicht nur das Haushaltsdefizit senken, sondern sogar einen Überschuss von zwei Prozent erzielen zu wollen. Allein die dafür nötigen Einsparungen würden das BIP um sechs Prozent schrumpfen lassen. Milei weiß das. Für ihn sind die Vertiefung der Krise und deren soziale Folgen keine Kollateralschäden, sondern notwendige Schocktherapie und einkalkulierte Disziplinierung auf dem Weg hin zu seiner Vision von Freiheit.

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