Google-Chefingenieur Ray Kurzweil schluckt täglich 100 Tabletten gegen das Altern. (F.: Bouys/AFP/Picturedesk)

Die Mythen des Silicon Valley

von Laura Hille

Im Zentrum der US-Hochtechnologie entwickeln Investoren und IT-Nerds reaktionäre Weltanschauungen. Über Blogs und Internetforen verbreiten sie die Idee, dass Technologie alle Probleme löst.


2265 wörter
~10 minuten

Das Silicon Valley ist klein, geradezu kleinstädtisch. Man kennt sich, vor allem wenn man von der Stanford-Universität kommt, dem »intellektuellen Countryclub«, wie der Journalist John Markoff sie nennt. Als ich zuletzt im Frühling 2022 die kalifornische Bay Area besuchte, erwartete mich – wenig überraschend – Sonnenschein. Das Silicon Valley, nicht zuletzt aufgrund seiner milliardenschweren Technikindustrie ein Wahrzeichen der Bay Area, zeigte sich von der Covid-19-Pandemie aber auch arg in Mitleidenschaft gezogen: Neben Sonnenschein empfingen mich zugezogene Gardinen und eine Unmenge an To-go-Wegwerfbechern. Dabei war das Valley stets Initiator neuer Arbeitskulturen und Zukunftstechnologien. Doch in der Pandemie tat es, was alle taten, es verlagerte die Arbeitswelt ins Homeoffice, wodurch nicht wenigen Programmierer:innen und Ingenieur:innen die teuren Mieten in der Bay Area oder der Pendelstress erspart blieben. Die Enttäuschung über die wenig revolutionären Antworten der Tech-Industrie auf die Pandemie schien den Beginn eines Endes zu markieren: des Endes der großen Versprechen und fantastischen Visionen des »Valley of Genius«.

Heute allerdings geht es dem Valley gut, sehr gut sogar, und das, obwohl die Tech-Industrie zurzeit vor allem mit Stellenabbau, schlechten Arbeitsbedingungen und gefloppten (Metaverse, NFT) bis kriminellen (Theranos, FTX) Projekten Schlagzeilen macht. In der Debatte über Chat GPT und die Rolle künstlicher Intelligenz (KI) erfinden Valley-Investor:innen gerade ein neues technologisches Spekulationsobjekt für ihre revolutionären Versprechen. Immer mehr Geld und immer mehr Macht nähren eine neue philanthropische Vision für die Zukunft. Das heißt, eigentlich sind es zwei Zukünfte, auf die das Valley wettet: eine optimistische und eine apokalyptische – eine von beiden wird schon eintreten. Der Silicon-Valley-Prophet von heute investiert in die Unsterblichkeit und lässt sicherheitshalber noch einen Endzeit-Luxusbunker in Neuseeland errichten. Andere suchen den eschatologischen Exit vor dem kommenden Ende in schwimmenden libertären Stadtstaaten oder auf dem Mars, in einem Cyborgkörper, in der Unsterblichkeit oder in der zukünftigen Existenz einer virtuellen Menschheit (siehe dazu auch den Beitrag von Felix Diefenhardt).

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