Seltsamer Diskurs
von Jens Kastner
EUR 36,00 (AT), EUR 34,00 (DE), CHF 45,50 (CH)
Auf die Frage, was die Philosophie sei, gibt es keine objektive Antwort. Immer schon ist die Beschreibung auch Setzung, jede vermeintliche Schilderung trägt die Behauptung in sich. Das wusste auch Michel Foucault, zu dessen umfangreichen Publikationen sich nun ein bislang unveröffentlichtes Manuskript von 1966 gesellt. Darin stellt der einflussreiche Denker zu Beginn die rhetorische Frage, ob die Philosophie nicht immer schon ein Diskurs mit Doppelfunktion gewesen sei, angetreten nämlich, um »die Aussage des Sinns und die Bannung des Übels« miteinander zu verbinden.
In diesem Buch aus, wie es die heutige Kanonisierung nennt, Foucaults erster Werkphase, bevor also die Macht und dann das Subjekt in den Fokus rückten, umkreist der französische Denker den Diskurs als relativ eigenständige Ansammlung von Äußerungen. Verschiedene Diskurse bilden unterschiedliche Sprechweisen und Legitimationsmodi aus. Der Diskurs der Philosophie habe – anders als die Diskurse des Alltags, der Literatur und der Wissenschaft – eine besondere Bindung zur Aktualität der Aussage. Seit Friedrich Nietzsche, so Foucaults These, habe sich der Diskurs der Philosophie als einer etabliert, der ein Wissen über das Jetzt produziert. Philosophie nach Nietzsche hat die Suche nach dem Grund des Subjekts ebenso aufgegeben wie den Anspruch, Theorie eines Ursprungs des Logos zu sein.
Während der Alltagsdiskurs im Jetzt verhaftet bleibt, kann die Philosophie aber durch die Verschriftlichung auch ein distanziertes, interpretierendes Verhältnis zur Gegenwart einnehmen. Anders als Literatur und Wissenschaft wiederum klammere sie Ort und Zeit des Sprechens zugleich nicht aus. Mit ihrer unbedingten Bezogenheit auf die Triade »Ich – Hier – Jetzt« sei die Philosophie ein »seltsamer Diskurs«. Seltsam ist er nicht zuletzt deshalb, weil er das zu interpretierende Jetzt nicht nur einfach abbildet, sondern, so der Clou des Foucault’schen Diskursbegriffes, erst »durch sein Auftauchen ein Hier hervorbringt«.
Ohne große Bemühungen um Belege und Vermittlungen betreibt Foucault hier in seinem ganz eigenen Jargon zweierlei: Zum einen präzisiert er den kurz davor in Die Ordnung der Dinge (1966) entwickelten Diskursbegriff, zum anderen wendet er die ebenfalls in diesem Hauptwerk begründete Methode der Archäologie auf die Philosophie an. Er durchstreift die Philosophiegeschichte seit Descartes und weist sie als Selbstverständigungsprozess aus, der die Dinge »in ihrer wechselseitigen Beziehung« repräsentiert und zugleich auf ein Außen bezogen bleibt.
Von diesem Außen allerdings, seiner Beziehung zum Inneren des Diskurses und dem jeweiligen Einwirken aufeinander ist dann recht wenig zu lesen. Zwar beschreibt Foucault noch die Beziehungen zwischen den verschiedenen Diskursen als Neuerung in der abendländischen Kultur und nennt sie die »Organisation eines integralen Archivs«. Schließlich möchte er die Philosophie auch als Kritik am Bestehenden verstanden wissen, insofern sie »eine Übertragung von allem, was stumm ist, in eine Rede« sein kann und sollte. Die »Bannung des Übels«, die zu Beginn als eine der Hauptfunktionen der Philosophie beschrieben wird, taucht im Verlauf des Textes allerdings leider nicht mehr auf.
Ihre Spende für kritischen Journalismus
Linker Journalismus ist unter Druck. Zumal dann, wenn er die schonungslose Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen profitablen Anzeigengeschäften vorzieht. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, kritische Berichterstattung auch angesichts steigender Kosten in gewohnter Form zu liefern. Links und unabhängig.