Wahl-Kater

von Sonja Luksik

Illustration: Dani Maiz

Nach der Nationalratswahl zeichnen sich zähe Koalitionsverhandlungen ab. Soll eine Regierungsbeteiligung der FPÖ verhindert werden, müssen sich ÖVP und SPÖ selbst kannibalisieren.


954 wörter
~4 minuten

Wie weit kann ich meine Positionen aufgeben, ohne meine Glaubwürdigkeit gleich über Bord zu werfen? Diese Frage schwirrt dieser Tage wohl in den Köpfen und Besprechungszimmern von Karl Nehammer und Andreas Babler umher. Denn sowohl ÖVP als auch SPÖ verwehren sich einer Koalition mit der Kickl-FPÖ und befinden sich nach der Wahl in einem Zwiespalt: Einerseits ist eine inhaltliche Annäherung an die zu umwerbende Partei erforderlich, andererseits soll die Umsetzung der eigenen Wahlversprechen zumindest in Reichweite bleiben.

Eine »Koalition der Verlierer« abseits der satten rechten Mehrheit wäre sich beim Themenkomplex Flucht und Migration wohl am schnellsten einig – hat die Sozialdemokratie ihren diesbezüglichen Kurs doch im Wahlkampf »präzisiert« (alias verschärft), zudem müssen Zugeständnisse an die FPÖ-Wähler:innen her. Mehr Streit zwischen ÖVP und SPÖ ist bei der sozialpolitischen Agenda vorprogrammiert. Faule Kompromisse bei Bablers Kampf gegen Kinderarmut, Zwei-Klassen-Medizin oder Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern würden den parteiintern ohnehin schon angeschlagenen SPÖ-Vorsitzenden weiter schwächen. Wie weiter, wenn die »Verhandlungen der Verlierer« also doch scheitern?

Die arithmetisch und politisch stabilste Koalitionsvariante hat ein Problem: Herbert Kickl. Mit Kickl macht es die ÖVP nicht, ohne Kickl macht es die FPÖ nicht. Im Vorfeld der Wahl hat ÖVP-Chef Karl Nehammer stets betont, dass Kickl nicht mit der Freiheitlichen Partei gleichzusetzen sei – und er hat den Blauen damit ein Angebot gemacht: Schiebt ihr euren Vorsitzenden in die zweite Reihe ab, können wir uns eine gemeinsame Regierung vorstellen. Die Einschätzung ist freilich weniger analytisch denn strategisch zu interpretieren, denn unrichtiger könnte sie kaum sein. Die Reihen der FPÖ waren in ihrer bis dato 75 Jahre währenden Geschichte (inklusive der Vorgängerorganisation »Verband der Unabhängigen«) vielleicht noch nie so geschlossen wie heute; die rechtsextreme Partei hat vorübergehend den Spagat zwischen Regierungsbeteiligung in Bundesländern und Anti-Establishment-Gestus im Bund geschafft.

»Die arithmetisch und politisch stabilste Koalitionsvariante hat ein Problem: Herbert Kickl. Mit Kickl macht es die ÖVP nicht, ohne Kickl macht es die FPÖ nicht.« 

Geht es nach der ÖVP, ist auf Kickl als Partner trotz alledem kein Verlass. So sorgen seine wankelmütigen und populistischen Positionen bei den der Volkspartei nahestehenden Kapitalfraktionen und Unternehmer:innen für Unruhe. Zwar trat die FPÖ im Wahlkampf entschlossen gegen Vermögens- und Erbschaftssteuern und für die Senkung von Lohnnebenkosten auf, und die Wahrscheinlichkeit, dass sich dies bald ändern könnte, geht gegen null; dennoch bringt eine von Kickl geführte Freiheitliche Partei zu viele Variablen für die immerzu verunsicherte ÖVP-Klientel mit sich. Vor allem in der Außenpolitik und beim Verhältnis zu Russland und der EU ist die FPÖ keine zuverlässige Partnerin. Nicht zu vergessen das Strache-Trauma, das bei ÖVP-Funktionär:innen nach wie vor tief sitzt. Der autoritäre und unsoziale Staatsumbau der ÖVP/FPÖ-Regierung hatte gerade erst richtig Fahrt aufgenommen, als im Mai 2019 das Ibiza-Video veröffentlicht wurde. Bekanntlich offenbarte Heinz-Christian Strache in dieser Sommernacht nicht nur seinen Oberkörper im leichten Shirt und seine Flirtversuche mit einer angeblichen russischen Oligarchin, sondern auch seine Pläne für den rechten Staatsumbau. Der anschließende Zusammenbruch der Regierung lehrte die ÖVP höchste Vorsicht bei der Zusammenarbeit mit dem vormaligen Koalitionspartner.

Schon in der damaligen Regierung befand sich neben Herbert Kickl als Innenminister auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, sie wird als nächste ÖVP-Vorsitzende gehandelt und soll ein skeptisches bis schlechtes Verhältnis zu Kickl haben. Doch der FPÖ-Chef wird nicht so schnell von seinem Posten weichen, fungierte er doch lange genug als reden- und sprücheschreibender Kopf im Hintergrund und unlogischer Nachfolgekandidat Straches (was man angesichts Kickls verbissener und uncharismatischer Auftritte immer besser versteht). Er ist heute gut verankert in der Parteibasis und bei Funktionär:innen und wird sich kaum mit Posten wie dem des Nationalratspräsidenten abspeisen lassen. Eine FPÖ/ÖVP-Koalition könnte also weniger an inhaltlichen als an personellen und strategischen Fragen scheitern.

SPÖ-Chef Andreas Babler befindet sich indes in einer ähnlich ungünstigen Lage: Nach seiner noch im Wahlkampf nicht ohne Pathos vorgetragenen Ansage, Kickl als Kanzler verhindern zu wollen, führt kaum ein Weg an einer SPÖ-Regierungsbeteiligung vorbei; und diese ist wiederum nicht ohne schmerzliche bis selbstkannibalisierende Zugeständnisse an potenzielle Koalitionspartner möglich. Der Druck auf Babler ist entsprechend groß, die SPÖ nach knapp acht Jahren Opposition wieder in eine Bundesregierung zu führen. Der rechte Parteiflügel nimmt beim Appell, »vernünftig zu handeln«, eine besondere Rolle ein – dies hat sich zuletzt mitten im Wahlkampf rund um die geleakte Kritik von Doris Bures gezeigt. In einer Mail an das 13-köpfige Parteipräsidium attestierte die Zweite Nationalratspräsidentin dem SPÖ-Wahlprogramm fehlende Ernsthaftigkeit; daraufhin ließ ein Präsidiumsmitglied aus dem Lager der Babler-Gegner diese Nachricht der Kronen Zeitung zukommen. Die Veröffentlichung sorgte für großes Aufsehen im ohnehin schon lauten Wahlkampfgetöse und verärgerte verständlicherweise Babler-loyale Genoss:innen. Solche und ähnliche Sabotageaktionen richteten sich auf die Zeit nach dem 29. September, ihre Warnung an den Parteivorsitzenden lautete: Unrealistischen Forderungen im Vorfeld der Wahl müssen ernstzunehmende Abstriche bei ebendiesen als Voraussetzung für eine SPÖ-Regierungsbeteiligung folgen, sonst entziehen wir Babler vollends die Unterstützung. Um in eine Position der Stärke zu kommen, in der Babler auch eine Konfrontation mit den Doskozils und Dornauers der Partei nicht scheuen muss, wäre es unerlässlich, die Basis der Sozialdemokratie mitsamt ihren neuen Mitgliedern zu mobilisieren – sonst droht Babler dasselbe Schicksal wie dem ehemaligen Labour-Chef Jeremy Corbyn in Großbritannien.

Inmitten des Wahl-Katers sind die politischen Zukunftsaussichten also ernüchternd: Die Alternative zu einer FPÖ-Regierungsbeteiligung bringt die Selbstkannibalisierung der beiden ehemaligen Großparteien mit sich. Ob sich dadurch neue Handlungsräume für die Linke ergeben, bleibt abzuwarten.

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