Der erschöpfte Bundeskanzler wendet sich an die »Österreicher und Österreicherinnen«, weil er dem Volk in einer »entscheidenden Situation (…) zu berichten« habe. Verhandlungsversuche sind gescheitert. Die Nachrichten über die Unfähigkeit der Regierung, die – im Übrigen lügenhaft überzeichneten – sozialen Widersprüche zu lösen, seien erfunden. Dennoch müsse er sich nun verabschieden.
Das Abschiedsstatement des Ex-ÖVP-Chefs und -Kanzlers Karl Nehammer vom Abend des 4. Jänner 2025? Nein, die berühmte Rede von Kurt Schuschnigg am 11. März 1938, die mit dem »Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!« endete. Die beiden Texte ähneln einander formal stark. Gewiss, in der Grußformel nannte Nehammer die Frauen zuerst, dann sprach er von sich überschlagenden Ereignissen, über die es zu berichten gelte. Er wandte sich nicht an das »Volk« wie Schuschnigg, sondern an »die Menschen in unserem Land«. Leichte Varianten des historischen Vorgängers stehen neben auffälligen formalen Parallelen. Hat Nehammer auf der Suche nach dramatischem Effekt beim einstigen Diktator nachgelesen?