Die deutschen Wähler:innen haben ihre politische Landkarte neu eingefärbt. Sie sieht nun ungefähr so aus wie jene Österreichs vor fünf Jahren: tiefschwarz in der Fläche, mit dunkelblauen Rändern. Friedrich Merz, Spitzenkandidat der Unionsparteien, wird nächster Bundeskanzler; er hat sich die Hochphase der ÖVP unter Sebastian Kurz zum Vorbild genommen, seine Partei vom Merkel’schen Resthumanismus gesäubert und weit rechts positioniert.
Merz hat noch am Wahlabend erklärt, wie er verhindern will, dass die weitere Entwicklung dem österreichischen Beispiel folgt: Vier Jahre habe man nun Zeit, um zu verhindern, dass die AfD zur stärksten Kraft im Lande werde, vier Jahre, in denen er, Kanzler Merz, dafür sorgen werde, dass die illegale Migration ins Land gestoppt und ohne Gnade abgeschoben werde. Das ist eine altbekannte Strategie: Die extreme Rechte wird gestoppt, indem ihre rassistischen Inhalte übernommen und ihre Forderungen umgesetzt werden. Dass sie diesmal funktioniert, ist unwahrscheinlich. Sie beruht auf einem grundlegenden Missverständnis über die Ursachen der rechten Erfolge, wie ich anderswo ausführlich argumentiert habe.
Gute Bedingungen für die AfD
Weitaus wahrscheinlicher ist, dass eine von Merz geführte Regierung die Bedingungen für die AfD noch günstiger machen wird. Die Konservativen werden mit der SPD koalieren müssen – theoretisch könnten auch die Grünen dazugeholt werden. Die Macht wird jedenfalls einem mühsam zusammengeflickten Zentrum entspringen, das allein vom staatspolitischen Verantwortungsgefühl seiner Einzelteile gehalten wird. Die erwartbar menschenfeindliche Grenz- und Migrationspolitik der Regierung wird die AfD nur dazu drängen, noch menschenfeindlichere Grenz- und Migrationspolitik zu verlangen, während die von Merz angekündigte Deregulierungsagenda die soziale Malaise in Deutschland noch verstärken wird.

Das soziale Profil der AfD-Wählerschaft ähnelt nicht zufällig jenem der FPÖ vor dem großen Durchbruch: überwiegend männlich, mit niedrigem Bildungsgrad und geringem Einkommen. Es ist nicht zu erwarten, dass die nächste Bundesregierung diesen Menschen viel Substanzielles zu bieten haben wird, sie bilden das Stammklientel der Rechten. Für die Machtübernahme braucht die AfD beim nächsten Mal größere Teile des frustrierten Bürgertums. CDU und CSU tun schon jetzt alles dafür, damit der Sprung nach rechts außen sich dann nicht mehr so weit anfühlt. Auch das kennen wir aus Österreich: Kickls Erfolg wäre nicht möglich gewesen ohne die Selbstverrohung des Bürgertums unter Kurz und Konsorten.
Fulminante Linke
In diesem dunklen Szenario leuchtet der Erfolg der Linken umso heller. Noch vor wenigen Monaten glaubten nur wenige, dass die Partei Die Linke noch einmal in den Bundestag einziehen könnte. Den Fraktionsstatus hatte sie durch die Abspaltung der Wagenknecht-Abgeordneten schon verloren, Umfragen sahen sie deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament im letzten Juni konnte sie ganze 2,7 Prozent der Stimmen auf sich versammeln. Die neue Parteiführung um Ines Schwerdtner hat aus diesen Niederlagen die richtigen Lehren gezogen. Mit 8,8 Prozent und sechs Direktmandaten geht die Linke als kleine Siegerin aus der Wahl hervor, in der dreieinhalb Millionen zählenden Hauptstadt hat sie sogar alle anderen Parteien hinter sich gelassen.
Wie es gelungen ist, aus einem zerstrittenen Haufen von Verlierern eine so fulminante Kampagne zu zimmern, sollten Genoss:innen im benachbarten Ausland besonders aufmerksam studieren. Wobei auch hier ein Österreich-Bezug nahe liegt: Schwerdtner ist der Grazer KPÖ eng verbunden und hat etwa den freiwilligen Gehaltsverzicht und das Abhalten von Sozialsprechstunden von den dortigen Kommunisten übernommen. Entscheidender waren aber drei weitere Faktoren: die konsequente Positionierung gegen die Reichen und ihre Parteien, mit klaren und nachvollziehbaren Forderungen für leistbares Leben und Wohnen; eine hochprofessionelle Online-Inszenierung, in der die einzelnen Kandidat:innen wie Marvel-Superhelden ihre jeweiligen Stärken ausspielen konnten, ohne als Einzelkämpfer:innen gesehen zu werden; und eine beispiellose Mobilisierung »on the ground«. In einer Zeit, in der junge Menschen sich kaum trauen, das Telefon abzuheben, wenn eine unbekannte Nummer anruft, hat die Linke auf einen »aufsuchenden Wahlkampf« gesetzt und nach eigenen Angaben an 600.000 Türen geklingelt, um »Haustürgespräche« zu führen. Wie gut das funktioniert hat, überraschte wohl sogar die Wahlkämpfer:innen selbst.
Die nächsten vier Jahre sind also tatsächlich entscheidend, aber anders, als die Mainstreammedien und Friedrich Merz es meinen. Der überraschende Erfolg der Linken bringt enorme Verantwortung mit sich. Wie Jacobin-Chefredakteur Loren Balhorn völlig richtig resümiert: Die Partei hat nun ein paar Jahre Zeit, um sich als echte Alternative zum maroden Machtzentrum zu etablieren. Dafür muss sie »in erster Linie den Konflikt mit genau jener Mitte suchen, die die Bedingungen geschaffen hat, unter denen die AfD erst mächtig werden konnte«. In ganz Europa wird verzweifelt nach Möglichkeiten gesucht, den neuen Faschismus zu stoppen. Vielleicht wurde ein wirksames Mittel diesmal ausgerechnet in Deutschland gefunden.
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