Eine seltsame Dialektik bricht sich dieser Tage Bahn, blickt man auf die Ereignisse in den USA, dem Sudan, in Gaza, der Ukraine oder bis nach Indien und Pakistan. Vor dem Hintergrund der erst kürzlich abgehaltenen Feierlichkeiten zum 80. Jahrestag des Sieges über den Faschismus am 8. Mai lohnt der genauere Blick auf eine Welt, die vergessen zu haben scheint, auf welchem Fundament sie gebaut worden ist – wenn überhaupt von einem Sieg gesprochen werden kann, von einer Befreiung ganz zu schweigen.
Das Versprechen eines mittlerweile sich zur Floskel erschöpften »Nie wieder!« war, so meine Vermutung, von Anfang an eine Totgeburt. Dies lassen nicht nur die gut dokumentierten Versäumnisse in der justiziellen Aufarbeitung von Nazi-Verbrechen vermuten, sondern auch die Tatsache, sich nach den richtungsweisenden Jahren 1989/1990 vollends der Logik bürgerlicher Staaten überlassen zu haben, denen der Faschismus bekanntlich einbegriffen ist. Der leise Verdacht, an einem anderen Ende der Geschichte angelangt zu sein als an jenem, von dem Francis Fukuyama meinte, es für die liberalen Demokratien des Westens ausgemacht zu haben, drängt sich umso lauter auf, wenn man, wie gerade, das Wiedererstarken des Faschismus im neuen, libertär-technofeudalen Gewand per Liveticker mitverfolgen kann.
Doch wer über die Stärke dieser bis zur Karikatur entstellten, gar nicht mal so neuen Rechten reden will, sollte nicht verschweigen, dass deren Aufstieg durchaus mit der selbstverschuldeten Schwäche einer Linken zu tun hat, die ihre eigentlichen Kämpfe – nämlich die gegen Ausbeutung und Versklavung arbeitender Menschen weltweit, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe – vernachlässigt hat. Sie muss den Klassenkampf allmählich wieder aufnehmen, um weiter überleben zu können. Und welche Zeit eignet sich besser dafür als unsere, in der die Feinde der Arbeiterinnen und Arbeiter offener und brutaler ihre Ziele durchsetzen als bis vor ein paar Jahrzehnten, da die Risse der Marktwirtschaft sich besser hatten verstecken lassen können.
Verloren im Dickicht eines nicht zuletzt von poststrukturalistischen Theorien befeuerten Essentialismus, müssen wir als Linke langsam zur Einsicht gelangen, dass unsere Fokussierung auf die Kultur und deren Kritik eine Sackgasse ist, aus der uns nur eine Refokussierung auf die ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus heraushelfen kann. Diesem neuen Essentialismus ist laut Vivek Chibber auch der Umstand geschuldet, dass sich zwischen dem, wer Unterdrücker ist und wer Unterdrückter, eine leise Verschiebung vollzogen hat zugunsten der herrschenden Klasse, die zuvorderst ihre eigenen ökonomischen Interessen verfolgt.
Dabei scheuen die Herrschenden nicht einmal mehr davor zurück, sich linker Mittel zu bedienen, um die oben genannte Verschiebung diskursiv zu vollziehen: So werden aus dem Hindunationalisten oder dem Hisbollah-Kämpfer fragwürdige Verbündete im Kampf gegen Rassismus, während im Kampf gegen Antisemitismus sogar die kolonialen Eindeutigkeiten militanter israelischer Siedler gerechtfertigt werden; und wer kennt sie nicht, die »We All Should Be Feminists«-Shirts von Dior für 850 Euro das Stück.
Jeglicher Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, ja gegen den Kapitalismus selbst ist verlorene Lebensmüh, wenn er – von den Marketingabteilungen des Kapitals entdeckt und für den Mainstream als T-Shirt-Aufdruck verarbeitet – ad absurdum geführt wird. Und dass in diesen Kämpfen gerade die durch Arbeit ausgebeutete Bevölkerung außen vor gelassen wird, sollte auf der Hand liegen, denn sie verharren allzu oft im Akademischen und bringen Eliten hervor, die den Status quo der Marktwirtschaft erhalten sehen wollen – und zwar unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft oder Hautfarbe. Gerade das Erstarken von Trump und seinen Tech-Faschisten, Giorgia Meloni und ihren »Postfaschisten« oder Herbert Kickl und seinen Schunkelnazis, die sich allesamt als Vertreter der Arbeiterklasse inszenieren, sollte uns Linken als Beweis unseres Scheiterns dienen, eines Scheiterns wohlgemerkt, das neue Möglichkeiten birgt.
Dieser Tage sind wir gezwungen, das »Nie wieder!« zurück in die Schublade zu packen, denn die Gesellschaft so einzurichten, dass Auschwitz nie wieder geschehe, bleibt Illusion, solange die wirtschaftlichen und politischen Interessen einiger weniger regieren. Umso mehr scheint die Zeit gekommen, das altbekannte »No pasaran!« wieder aus den Untiefen der Geschichte hervorzukramen und uns der Kämpfe bewusst zu werden, die vorangegangene Generationen auszufechten sich nicht zu schade waren.
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