Das bessere Leben

von Iuditha Balint

KRITIK & ZÄRTLICHKEIT #10 | Texte zu Arbeitsmigration zwischen Einzelschicksalen und kollektiver Geschichte

Ein radikaler Wechsel des Arbeitsumfelds wird selten ohne ökonomische Zwänge entschieden: Oft stecken dahinter existenzielle Not und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Wenn aber die neue Arbeitswelt mit einem neuen Sprachraum zusammenfällt, bedeutet dies auch Ausgrenzung, Demütigung. Das hebt diejenige Literatur hervor, deren Sujets sich um das Leben von Arbeitsmigrant:innen formieren.

Österreich, die BRD und die DDR schließen in den 1960er- und 70er-Jahren Abkommen mit Ländern wie Italien, der Türkei, Griechenland, Mosambik, Marokko, Tunesien, Vietnam oder der Republik Korea. Entsprechend erscheinen in diesen Ländern ab den 1970er-Jahren vermehrt literarische Texte, in denen Arbeitsmigration thematisiert wird: die Ausreise, das Ankommen und Sich-Einleben, positive wie negative Migrationserfahrungen, die Sehnsucht nach den Herkunftsländern und der Kampf für ein gutes, gelingendes Leben, für die Würde des Menschen, gegen Rassismus.

Aras Örens Lyrikbände Was will Niyazi in der Naunynstraße? (1973), Der kurze Traum aus Kagithane (1974) und Die Fremde ist auch ein Haus (1980) stehen dafür paradigmatisch und fokussieren eine Arbeiterfigur, die für die Rechte von Arbeiter:innen kämpft. Emine Sevgi Özdamars Prosaband Mutterzunge (1990) fokussiert mit der »Zunge« eine Metapher, die inzwischen in der Literaturgeschichte fest für Orientierungsbewegungen in einer fremden Sprache und Kultur steht. Aus einer zeitlichen Distanz lässt Birgit Weyhes Graphic Novel Madgermanes (2016) das Leben von Vertragsarbeiter:innen in der DDR aufscheinen und erinnert aus der Perspektive mosambikanischer Figuren eine andere Geschichte der DDR. Und Vina Yuns Graphic Novel Homestories (2017) zeichnet anhand (auto-)biografischer Erzählungen ein Bild vom Leben koreanischer Krankenschwestern im Wien der Vergangenheit. Die verheerenden Auswirkungen einer gescheiterten Suche nach dem guten Leben werden in Çiğdem Akyols Roman Geliebte Mutter – Canim Annem (2024) aus der Perspektive der Generation der Kinder aufgefaltet.

Und auch wenn diese Texte Einzelschicksale porträtieren, fiktional sind und für sich selbst stehen, erzählen sie insgesamt eine kollektive Arbeitsmigrationsgeschichte, die da ist, endlich gehört werden soll und nachwirkt.

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