Subversiver Horror

von Martina Genetti

432 wörter
~2 minuten
Subversiver Horror
Farah Bouamar und Nabila Boushra
Jenseits des Schreckens
Horror, Widerstand und Visionen
Unrast, 2025, 112 Seiten
EUR 9,95 (AT), EUR 8,90 (DE), CHF 11,90 (CH)

In den letzten Jahren hat das Horrorgenre im Film eine bemerkenswerte Renaissance erlebt und sich zunehmend auch als gesellschaftskritische Ausdrucksform etabliert. Jenseits des Schreckens knüpft an diese Entwicklung an und schreibt der künstlerischen Darstellung des Schreckens das Potenzial eines subversiven Werkzeugs zu. Dieses mache marginalisierte, tabuisierte und verdrängte Erfahrungen sichtbar und die gewaltvollen Machtstrukturen, die diese hervorbringen, kritisierbar.

Im ersten von zwei Essays, »They’re Coming to Get You: Machtkritik und Ermächtigung«, verortet Farah Bouamar dieses Vorhaben im Feld feministischer Film- und Horrortheorien, von Barbara Creeds Konzept der »monströsen Weiblichkeit« bis zu bell hooks’ »oppositional gaze«. Dabei legt sie die kritische und politische Dimension des Horrors auf den Ebenen von Produktion und Rezeption offen. Konsequent richtet die Autorin den Blick auf die blinden Flecken bestehender Theorien, die sich insbesondere aus intersektionaler Perspektive, etwa im Kontext von Rassismusforschung und Kolonialdiskursen, zeigen. Eine besonders wertvolle theoretische Verknüpfung bietet darin die Auseinandersetzung mit Tananarive Due und dem Genre des Horror Noir als ästhetisch verdichteter Ausdruck historisch-kolonialer Gewaltverhältnisse.

Wie Horror nicht nur individuelle Erfahrung, sondern auch ein kollektives Archiv von Traumata, Erinnerungen und Überleben verkörpern kann, greift Nabila Boushra im zweiten Essay, »Horror im Widerstand«, auf. In ihrer Analyse der Filme Relic (2020) und His House (2020) widmet sich die Autorin dem Motiv des Schmerzes etwa im Kontext von Krankheit, Pflege und Fluchterfahrungen. Sie analysiert ihn als einen Zustand, dem im Horrorfilm jener Ausdrucksraum eröffnet wird, der ihm in kapitalistischen Gesellschaften verwehrt bleibt. Ein Nachwort von María do Mar Castro Varela, das die beiden Essays rahmt, situiert dieses Verhältnis von realem und fiktionalem Schrecken in einem planetarischen Kontext und positioniert den Horror als Spiegel einer von Krisen durchdrungenen Gegenwart, die, »in einen Wettbewerb mit den beklemmendsten Horrorfilmen geraten« sei.

Während Horror in Jenseits des Schreckens also vorrangig als Projektionsfläche und Ausdrucksform des Realen diskutiert wird, tritt das künstlerische Medium als eigenständiges Dispositiv mit spezifischen ästhetischen Wirkkräften deutlich in den Hintergrund. Anders als in der ersten theoretischen Einbettung wird sein subversives Potenzial im zweiten Beitrag überwiegend auf der Ebene der Erzählung verhandelt und damit eng an die kritische Intention seiner Produktion geknüpft. Ein zwischen den beiden Essays eingeschobenes Filmskript samt Stills aus dem gemeinsam geschriebenen und produzierten Kurzfilm der Autorinnen verdeutlicht diese narrative, thematische und motivische Schwerpunktsetzung, während ästhetisch-formale Aspekte wie Kameraarbeit, Montage oder Sound lediglich angedeutet bleiben. Dadurch positioniert sich Jenseits des Schreckens zwar abseits klassischer Filmtheorien, stellt jedoch durch zahlreiche theoretische Verweise und die Etablierung von Horror als Analysekategorie eine substanzielle Erweiterung intersektional-feministischer, sozialwissenschaftlicher und postkolonialer Theoriebildung dar.

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