Emanzipatorische Militanz

von Sophia Krauss

459 wörter
~2 minuten
Emanzipatorische Militanz
Irene
Feministisch morden
Kleine Abhandlung über anti-patriarchale Gewalt
Unrast, 2025, 104 Seiten
EUR 13,20 (AT), EUR 12,00 (DE), CHF 14,85 (CH)

Von patriarchaler Gewalt und feministischer Gegengewalt berichtet Feministisch morden. Der Essay ist sich sicher: Um eine gerechte Welt zu erreichen, braucht es Militanz. In ihrer kurzen Schrift erzählt die spanisch-baskisch-französische Bloggerin Irene in brutaler Deutlichkeit von misogyner Gewalt und der Machtlosigkeit von Betroffenen, die immer wieder von Exekutive und Rechtsprechung alleingelassen werden. Sie erinnert etwa an Ana Orantes, die von einem Richter gezwungen wird, nach der Scheidung weiterhin das Haus mit ihrem gewalttätigen Ehemann zu teilen. Nur zwei Jahre später tötet er sie. Es ist der 59. Femizid des Jahres 1997 in Spanien.

Der Text ist einerseits eine Würdigung von Betroffenen, deren Namen und Biografien oft in Vergessenheit geraten. Andererseits berichtet Irene von feministischer Selbstverteidigung, mit der gegen eine Welt, die weibliche Körper hasst und tötet, gewaltsam aufbegehrt wird. Auch dies sind Geschichten, die verdrängt werden, denn hier muten Betroffene auf einmal nicht mehr wehrlos und schwach an. Die starren Logiken von gewaltsamen Tätern einerseits und unterwürfigen »Opfern« andererseits lösen sich auf. Auch vermeintliche »Opfer« rebellieren.

Am stärksten ist der Text, wenn er das Motiv antipatriarchaler Gewalt in der Kunst aufgreift. Da geht es etwa um Lisbeth Salander, die Hackerin aus Stieg Larssons Millennium-Bestsellern, die von ihrem Vormund vergewaltigt wird. Kurz darauf rächt sie sich: Sie streckt ihn mit einem Taser nieder, tätowiert ihm »Ich bin ein Vergewaltiger« über die Brust. Kunst und Literatur öffnen einen Raum, in dem Gegengewalt abseits von realen Konsequenzen ausgelebt werden kann. Denn Lisbeth Salander ist kein echter Mensch, und ein fiktionaler Körper bleibt in der Wirklichkeit unversehrt.

Irene schreibt aber auch von echten Frauen, die partnerschaftliche Gewalt erleben und schließlich ihre Männer töten. Es sind drastische Geschichten von Notwehr in einem System, das oft keinen anderen Ausweg bietet, das misogyne Gewalt ständig nährt und selten bestraft. Problematischerweise fokussiert der Text auf die Gewalterfahrungen von cis Frauen; die Gewalt gegen trans/queere Identitäten bleibt eine Leerstelle.

Manchmal liest sich der Text zudem geradezu wie eine Ode an Militanz – und die feministische Gegengewalt beginnt, eine skurrile Faszination auszuüben. Man ergötzt sich fast an Irenes Geschichten über tote Täter. Haben sie ihr Schicksal nicht verdient? Es bleibt offen, wo die Grenzen der Gewalt liegen müssen. Denn wann wird Notwehr zu Selbstjustiz und Selbstjustiz zu Chaos? Was macht es mit Betroffenen, die gezwungen sind, andere zu töten, um selbst zu überleben? Auf die Fragen gibt es keine Antworten.

Es bleibt ein Dilemma: Feministisch morden ist eine literarische Bestandsaufnahme, die selbst wehrhaft wird, indem sie gegen die Ohnmacht anschreibt. Sie zeigt, wie sehr die Welt die Körper von Frauen hasst. Um das zu ändern, braucht es aber mehr als physische Gegengewalt.

1

    Warenkorb

    Spenden €10 - Monatlich
    1 X 10 / Monat = 10 / Monat