Belém, aufgrund der von Mangobäumen gesäumten Straßen auch als „Stadt der Mangobäume“ bezeichnet, liegt mitten im brasilianischen Amazonasgebiet und abseits von typischen Tourist:innenpfaden. Unbeeindruckt von Einwänden, dass Belém nicht unbedingt die beste Wahl für die diesjährige Weltklimakonferenz sei, rückte Brasiliens Präsident Lula da Silva nicht von seinen Plänen ab. Das Megaevent trieb entsprechend seltsame Blüten: Neben dem Bau einer vierspurigen Autobahn durch den Regenwald mussten auch tausende Konferenzgäste in klimaschädliche Kreuzfahrtschiffe ausweichen, da es zu wenig Hotelbetten in der Stadt gab – ganz nach dem Motto: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Oder auf Wienerisch: Eh scho wuascht.

Abseits von symbolischen Skurrilitäten waren auch die ergebnisbezogenen Erwartungen an die COP30 denkbar gering: Das Ziel, die Erderhitzung rechtzeitig und ausreichend zu verlangsamen, rückt in immer weitere Ferne. Wie die dringend nötige Energiewende vielleicht doch noch zu schaffen ist, zeigt derzeit China vor. Kein anderes Land baut so massiv erneuerbare Energie aus. Doch gleichzeitig steht es für die Fortführung eines zerstörerischen Wachstumsmodells: Die Volksrepublik ist auch Spitzenreiter beim Kohleverbrauch. Merle Groneweg geht den Widersprüchen der chinesischen Energie-, Industrie- und Klimapolitik in der Titelgeschichte auf den Grund.

Auch aufgrund dieser Widersprüche sind sich westliche Industriestaaten uneins, wie die Bestrebungen der Volksrepublik einzuschätzen sind, und so changieren ihre Reaktionen zwischen Misstrauen, Neid und Ablehnung. Europa setzt bei seiner Klimastrategie zwar ebenfalls auf technologische Innovationen, jedoch stärker auf solche, die über den Markt statt über den Staat vermittelt werden. Und im Gegensatz zu China, das regelmäßig seine Ziele übertrifft, sind die Instrumente zum Klimaschutz auf EU-Ebene nicht ausreichend und werden im Nachhinein teils noch verwässert. »Das passiert immer dort, wo die Maßnahmen beginnen, stark organisierten Interessen wehzutun«, analysiert Alina Brad im Interview mit Benjamin Opratko. Der Klima-Backlash sei in dieser Konstellation eine zusätzliche Herausforderung. Brad sieht den »dekarbonisierenden Staat« in der Pflicht: »Es bräuchte eigentlich eine Demokratisierung der Planung und der Produktion, eine demokratische Aushandlung darüber, was, wie und wofür produziert wird.« Daran anschließend stellt der Jurist Paul Hahnenkamp vor dem Hintergrund der Erderhitzung die berechtigte Frage »Wie viel Privateigentum verträgt der Planet?«. Er plädiert dafür, die rechtliche Ausgestaltung von Eigentum neu zu denken und damit die Transformation zu einer klimagerechten Produktions- und Lebensweise anzustoßen.

Eine gänzlich andere Debatte hat Manon Garcia unlängst mit ihrem Buch Mit Männern leben angestoßen. Die französische Philosophin verfolgte den Prozess gegen die Vergewaltiger von Gisèle Pelicot ganz genau und nahm ihre Beobachtungen zum Ausgangspunkt, um über die omnipräsente Bedrohung der Unversehrtheit von Frauenkörpern zu schreiben. Julia Werthmann nimmt Garcias Neuerscheinung zum Anlass, um sich essayistisch den Fallstricken erotischer Kultur und männlicher Respektlosigkeit zu nähern sowie die Konsequenzen für die weibliche Kollektivpsyche und Handlungsmöglichkeiten für die Linke aufzuzeigen.

Am Ende dieses Editorials und am Beginn des neuen Jahrgangs stehen einige Abschieds- und Willkommensworte: Wir verabschieden uns von Lou Kiss und begrüßen Adrián Astorgano, der bereits diese Ausgabe illustriert hat und alle folgenden im Jahr 2026 verschönern wird. Weiters bedanken wir uns bei Jannik Eder für seine langjährige Arbeit als TAGEBUCH-Textchef. Die vorliegende Ausgabe ist die erste, die Ela Maywald lektoriert hat – herzlich willkommen! Nicht genug der Neuerungen, freuen wir uns auch, Kian Kaiser als neuen Kolumnisten und Valentin Schwarz als neues Mitglied der Redaktion begrüßen zu dürfen.

Apropos Redaktion. Einen Wunsch, dem sich wohl auch unsere geschätzten Leser:innen anschließen können, hätten wir noch: dass das neue Jahr weniger seltsame Blüten treibt als das zur Neige gehende.

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