Foto: Christine Pichler

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~2 minuten

Wie viel Wasser ein Mensch trinkt, ist eine intime Sache. Etwas, das mich nichts angehen sollte. Eine individuelle Angelegenheit zwischen Körper, Durstgefühl und Elektrolythaushalt jedes und jeder Einzelnen. So wie Atmen oder Blinzeln. Bis vor kurzem fiel mir die Abgrenzung leicht. In letzter Zeit wird das schwieriger. Vielleicht, weil das Trinken heute nicht mehr einfach passiert, sondern demonstriert wird.

Überall diese riesigen Flaschen. Edelstahl, Glas, mit Tragschlaufe und Motivationsskala in Millilitern. In Büromeetings ist das stille Wasser darin ein stilles, aber klares Statement. Auf Social Media wird es wie ein Beweisstück eines gelungenen Lebens stolz in die Kamera gehalten. An Rucksäcken baumeln die Flaschen wie militärische Ausrüstung. Menschen gehen nicht mehr aus dem Haus. Sie brechen auf. Gegen den Durst. Als wäre er ein Gegner, der einen bloßstellt.

Früher tranken wir, weil wir durstig waren. Heute trinken wir, damit es erst gar nicht so weit kommt. Denn der Durst ist zu einem Makel geworden. Er ist verdächtig. Ein Zeichen von Unaufmerksamkeit. Und das ist gefährlich in einer Welt, die von uns verlangt, immer zu funktionieren. Nachdem die Arbeitswelt aus Menschen menschliche Ressourcen gemacht hat, behandeln wir uns nun selbst so. Nicht wie Lebewesen, sondern wie Geräte, die laufen müssen. Wasserflaschen sind keine Getränkehalter, sondern Garantieerklärungen: Ich falle nicht aus. Ich bleibe stabil. Ich halte durch. Sie suggerieren Kontrolle in einer Welt, in der schon vieles ins Rutschen geraten ist. Mit dem festen Griff an der Flasche haben wir wieder selbst etwas in der Hand. Etwas, an dem wir uns festhalten können. Etwas, das wir messen und womit wir uns selbst steuern können.

Aber die Wasserflasche wächst mit den Erwartungen an uns. Sie wird immer größer und schwerer. Bis wir sie kaum noch heben können. Also nuckeln wir uns durch den Tag und beruhigen unser Nervensystem. Wir ziehen jetzt achtsam am Strohhalm statt am Nikotinstummel. Unser Körpergefühl haben wir in ein Wartungsprotokoll umgeschrieben. Schluck für Schluck. Die einen mit Selbstkontrolle. Die anderen mit Apps, die erinnern, melden, korrigieren. Sie schlagen Alarm, wenn unser Körper zu sehr Körper wird.

Vielleicht ist Durst keine Schwäche. Sondern ein kurzer Moment, der uns erinnern lässt, dass wir leben. Ein Gefühl, an das wir uns wieder gewöhnen sollten.

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