Ein befreiender Seufzer ging Ende Dezember durch manch Redaktionsbüro eines Landes, das sich in der Zeitspanne, in der Hermann Gremliza ihm keine Sekunde zum Verschnaufen gab, stark verändert hat. Nicht nur war Deutschland in dieser Zeit zu sich gekommen – man nennt das euphemistisch Rechtsruck –, sondern auch dessen Gegner, Profiteure und Trittbrettfahrer, die Linksliberalen, hatten sich verändert.
Die Ersten, denen Gremliza Sprach-, folglich Charakter- und folglich Gesinnungsdeformationen nachwies, wünschten ihn noch zur Hölle, die Jüngeren wussten schon nicht mehr, was dieser gestrenge Mann aus Hamburg an ihrer und der Schreibe der anderen herumzumäkeln hatte und wo in seinen Glossen der Witz sei, hatte man doch so viel jugendliche Energie ins Erlangen von Position und Positionen investiert, dass es fürs Denken nicht mehr reichte.
Der salbungsvolle Respekt, den die Zeitungen der blechernen Mitte ihrem bekennenden Feind in Nachrufen bekundeten, beweist, was man immer schon ahnte: dass das Totschweigen mit exzessiver, aber heimlicher Gremliza-Lektüre einherging. Die von ihm gedemütigten Charaktermasken wussten, dass sie Gremliza sprachlich nicht das Wasser reichen konnten, somit begnügten sie sich damit, ihn in Ignoranz zu ertränken. Doch er hatte sich Kiemen wachsen lassen, wie einer, der jede Hoffnung aufgeben muss, seine Schäfchen je ins Trockene bringen zu können, das heißt: in jene Wüste aus Anerkennung, Opportunismus und Käuflichkeit, die der Kapitalismus einem als Ziergarten der liberalen Zivilisation verkaufen will. Gremlizas Meisterwerk des paradoxen Aphorismus: »Wer hinaufwill, muss herunterkommen, wer was werden will, aufhören, was zu sein« wird folglich von den ehrgeizigen Wüstenbewohnern als Kalauer abgetan – was den Zusammenhang von Sprachdummheit und Konformismus aufs Neue bestätigt.
Dass die von ihm am meisten geprügelten bürgerlichen Medien sich in ihren Nachrufen nun doch vor seiner sprachlichen Autorität verneigten, mag der eigenen moralischen Erhöhung geschuldet sein, der einmaligen, nämlich durch den Tod des Gegners eintretenden Gelegenheit, jemandem den Respekt zu bekunden, den er ihnen vorenthielt. Doch meldete sich da auch eine alte bildungsbürgerliche Demut vor der Schönheit der Form zu Wort. Dass der gute Gedanke aber nie ohne die vollendete Form zu haben ist und umgekehrt, verstehen die bürgerlichen Vergötzer schöner Rede, als Dekor beschissenen Lebens, und scharfer Rede, als Selbstermächtigung über dieses, nicht. Die Linken, und darin liegt die Tragik Gremlizas letzter Jahre, verstehen es noch weniger.
Der Herausgeber des konkret blieb seiner Methode auf doppelt verlorenem Posten treu. Karl Kraus als Vorbild zu wählen belohnt mit einem privilegierten, aber umso anstrengenderen Zugang zur Wahrheit, und wird durch demütigendes Unverständnis in den eigenen Reihen bestraft. Warum Linke – vernünftelnd, trunken vom Pathos der richtigen Gesinnung, verbindlich wie Klassensprecher und bescheiden wie die eitelsten Pfaffen – mit Gremlizas Methode nichts anfangen können, weiß ich gut genug, denn ich war selber mal so einer, mit 20, und Gremliza hasste ich. Jedenfalls fand ich dieses protzige Witzeln, das Einhacken auf Einzelpersonen wegen ihrer Sprachfehler und den selbstgewissem Gestus unreif und meiner Vorstellung von sachlicher Analyse unterlegen. Erst Gremliza und seine Lehrer Kraus, Adorno und Horkheimer zeigten mir, wie viel Unbescheidenheit und Egomanie im Duktus seriöser, gemeinschaftsverträglicher Verbindlichkeit liegt.
Die Leitartikel Gremlizas lieferten richtige Haltungen zu politischen Fragen nur insofern, als sie Haltung zeigten, und mit der denkbar elegantesten Form und dem schärfsten Witz munitioniert waren. Man musste nicht jeden Gedanken billigen, um einzusehen, dass Sprache als Kunstform des Widerstandes mehr als nur eine Stil- und Talentfrage sei. Viele kehrten ihm und konkret aus inhaltlichen Gründen den Rücken, wegen seiner Haltung zum Irakkrieg oder seiner Überzeugung, dass das Existenzrecht Israels nicht debattierbar sei und dass völkischer Dreck bei Linken tausendfach mehr Ekel erregt als bei Rechten, die ja aus ihm geknetet sind.
Das historische Verdienst der Methode Gremliza ist es, die Methode Karl Kraus fernab jeden Epigonentums gewartet, mit Originalität am Leben erhalten, durch einen Schuss Tucholsky mit lässiger Derbheit geimpft und sie für die linke Seite gewonnen zu haben. Worin besteht diese? Verkürzt in den beiden Maximen von Kraus: »Form und Inhalt gehörten zusammen wie Leib und Seele, nicht wie Leib und Kleid.« Und: »Wer nichts der Sprache vergibt, vergibt nichts der Sache.« Weiters darin, dass es keinen herrschaftsfreien Diskurs mit der Herrschaft geben kann. Prämisse eines jeden Satzes von Gremliza war, dass die herrschende Kultur, welche eine Kultur der Herrschenden ist, des Marktes oder der falschen Revolte, ihn gernhaben und den Buckel runterrutschen könne. Ein Affront für alle, die von ihr gerngehabt werden und vor ihr den Buckel machen wollen. Gremlizas Arroganz und Rücksichtslosigkeit waren notwendige Werkzeuge einer Humanität, die sich nicht durch falsche Kompromisse kompromittieren lässt. Er schlug so fest zu, dass die Haut seiner Gegner platzte, jeder Hieb aber war ein Gedanke, der über die Striemen seiner austauschbaren Opfer hin Bestand haben würde.
Dass Gremliza weg war, wusste ich erst, als ich an jenem traurigen 20. Dezember aus meinem Postkästchen das erste konkret ohne seine Texte holte. Mit ihm war eine Ära zu Ende gegangen, da sich arglos zwitschernde und vor sich hinbloggende linke Schreiber noch ein bisschen fürchten mussten vor dem Missfallen einer leidlich unsichtbar gemachten Instanz, eine Ära der Bequemlichkeit, da einer stellvertretend für uns weniger Mutigen den Mut hatte, monatlich die geballte Ladung an Ignoranz abzubekommen, welcher sich solch stolze Konsequenz aussetzt; eine Ära letztlich, da jemand Generationen einer schnell alt aussehenden Jugend vorzeigte, wie man Sprachkritik gegen die kulturpessimistischen Spießer wendet und deren zeitgeistdoofen Kritikern trotzdem eins auf die Finger gibt. Rayk Wieland schrieb: »Über 40 Jahre lang jeden Monat eine Kolumne. Weltreiche fielen um, Abonnenten fielen ab, sogar die Rechtschreibregeln kollabierten – er blieb, am Eingang und am Ausgang jedes Heftes wachend, ein Torwächter, ein Türsteher, der nicht reingehen muß, um zu wissen, wie öde die Party sein wird.« Die Party war dann doch weniger öde als in anderen Redaktionen. Obwohl man das Bedürfnis mancher konkret-Autoren spürte, mit Spaßkultur, dummen Anti-Imps wie dummen Antideutschen oder dem publizistischen Strebertum durchzubrennen, setzte sich bei den meisten Texten dann doch der sanfte Zwang durch, die richtige Denkbewegung vom passenden Sprachduktus dirigieren zu lassen. Und auch wenn sich viele nicht eingestehen mochten, dass dieses Über-Ich Gremlizas väterliche Züge trug – es tat dem gelungenen Ergebnis keinen Abbruch.
Adorno hielt die Satire für überholt und empfahl nüchternen Ernst. Gremliza wollte es bei solch spaßlosem Widerstand nicht belassen und schritt in der Geschichte zu Kraus zurück, in dessen Schule sein Talent am besten gedieh. Welch ein Glücksfall. Es kommt letztlich immer aufs richtige Verhältnis an:
Witz ohne Haltung, Sprachfantasie und Analyse ist lauwarmer Humor.
Haltung ohne Witz, Sprachfantasie und Analyse eitles Pathos.
Analyse ohne Sprachfantasie, Haltung und Witz fader Akademismus.
Sprachfantasie ohne Analyse, Witz und Haltung bloßes Dekor.
Ihre Spende für kritischen Journalismus
Linker Journalismus ist unter Druck. Zumal dann, wenn er die schonungslose Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen profitablen Anzeigengeschäften vorzieht. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, kritische Berichterstattung auch angesichts steigender Kosten in gewohnter Form zu liefern. Links und unabhängig.