Die Spargelhelden

von Susanne Haslinger

Erntehelfer gehören zu den am stärksten ausgebeuteten Gruppen in Österreich, gleichzeitig arbeiten sie im Verborgenen. Sichtbar wurden sie paradoxerweise erst, als sie nicht mehr da waren.

Die Schließung der Grenzen im Zuge der Corona-Maßnahmen fiel mit dem Beginn der Erntesaison zusammen. Sie führte mit einem Schlag dazu, dass tausende Erntearbeiter nicht aus ihren osteuropäischen Herkunftsländern einreisen konnten. 

Zwar warb die Landwirtschaft mit staatlicher Unterstützung rasch um »österreichische« Arbeitskräfte, Studierende an der Wiener Universität für Bodenkultur konnten Erntearbeit sogar für ihr Studium anrechnen lassen. Doch die Bemühungen blieben erfolglos. Zu wenige und zu »unausgebildet« waren die Freiwilligen. Oder eher, wie hinter vorgehaltener Hand erzählt wurde: zu ungenügsam und zu unabhängig. Die Freiwilligen wollten in Teilzeit arbeiten und täglich pendeln – unerhört in einer Branche, in der Arbeiterinnen bisweilen immer noch am Hof eingesperrt werden. Das Wehklagen der Landwirte ist nicht neu. Schon lange vor Corona ließen sie jedes Frühjahr verlautbaren: »In Österreich fehlen Erntehelfer – unser Gemüse bleibt liegen!« Sie beklagten vermeintlich unlautere Konkurrenz um Arbeitskräfte und dass das Personal aus der EU die Arbeitsbedingungen bei der Ernte nicht mehr völlig ohne Gegenwehr hinnimmt. Gebetsmühlenartig erfolgte der Ruf, vermehrt Drittstaatsangehörige ins Land zu holen. Die würden sich mit weniger Lohn und schlechteren Bedingungen zufriedengeben – in der Landwirtschaft spricht man das wenigstens noch laut aus.

Seit 2014 versucht etwa die Sezonieri-Kampagne, ein Zusammenschluss aus Produktionsgewerkschaft, NGOs und Einzelpersonen, der Überausbeutung in der heimischen Landwirtschaft entgegenzutreten. Das ist kein leichtes Unterfangen. Bei den Arbeiterinnen ist die Skepsis gegenüber Institutionen – der Gewerkschaft – groß, die Verweildauer in Österreich kurz und das Wissen über die eigenen Rechte quasi nicht vorhanden. In Gummistiefeln und mit Foldern stapfen die Sezioneri-Aktivisten über die Felder im Marchfeld, im Seewinkel und entlang der Martha-Dörfer im Tiroler Inntal.

Sie klären die Arbeiterinnen und Arbeiter über ihre Rechte auf und erfahren umgekehrt von ihnen, wie die Arbeitsrealität in der österreichischen Landwirtschaft wirklich aussieht: Arbeitszeiten bis zu 17 Stunden am Tag, bis zu sieben Tage die Woche, Löhne weit unter dem Kollektivvertrag, Vorenthaltung von Überstundenentlohnung und viele andere Missstände sind üblich.

»WIE MIGRANTISCHE
ARBEIT IN ÖSTERREICH
ORGANISIERT WIRD, IST
NICHTS ANDERES ALS
FLÄCHENDECKENDER
RASSISMUS.«

Dass sich daran nach Corona etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Einer der Gründe ist die strukturelle Triebfeder dieser besonders prekären migrantischen Saisonarbeit: Das Einkommen, das in Österreich innerhalb weniger Wochen erwirtschaftet wird, muss im Herkunftsland eine Familie für ein ganzes Jahr ernähren. Ob der niedrigen Löhne verpflichten sich Saisonarbeiter vorab auf eine horrende Anzahl an Überstunden und stimmen obligatorischen »Abzügen« und Gaunereien zu. Die Kinder bleiben während der Saison zu Hause bei den Großeltern, ganze Dörfer sind verwaist. Ein Teil der Einkommenserwartung und -notwendigkeit ist die Aufstockung durch die Familienbeihilfe. Für zigtausende Betroffene fällt in diesem Jahr das Saisoneinkommen aufgrund der Einreisesperre ersatzlos aus. Sie sind dadurch von akuter Armut in ihren jeweiligen Heimatländern betroffen – ein Aspekt, der in der deutschsprachigen »Spargel-Debatte« nicht vorkommt.

Wie migrantische Arbeit in Österreich organisiert wird, ist nichts anderes als flächendeckender Rassismus. Er ist Teil eines Arrangements, das Kosten für Unternehmen und Konsumenten niedrig hält. Vom Preis eines Bundes Radieschen gehen wenige Cent an die Arbeiterin, kaum mehr an den Bauern. Die tatsächliche Gewinnspanne liegt im Einzelhandel. Insbesondere in Deutschland und Österreich üben die Supermarktoligopole gewaltigen Druck auf die Produzenten aus. Wer auf Märkten, bei Kooperativen oder direkt beim Bauern kauft, kann die Oligopole umgehen. 

Die Sezioneri-Aktivistinnen werden derweil weiterhin über die Felder ziehen – denn die Bedingungen bei der Spargel- und Erdbeerernte werden auch nach der Pandemie miserabel bleiben.

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