Falsche Einfachheiten
von Benjamin Opratko
EUR 14,40 (AT), EUR 14,00 (DE), CHF 20,90 (CH)
Robert Misiks jüngster Essay reiht sich in das boomende Genre der populären Populismuserklärung ein. Obwohl er die »falschen Freunde« im Titel trägt, erfahren wir über diese im Buch nicht mehr, als dass sie existieren. Parteien wie die FPÖ oder die AfD, Politikerinnen wie Le Pen und Trump interessieren den Autor lediglich als Projektionsflächen für die »einfachen Leute«. Sein Anliegen ist, die Bedingungen darzustellen, unter denen weite Teile der arbeitenden Klassen heute leben und die wesentlich dazu beitragen, dass sie sich reaktionärer Politik zuwenden. Dabei will Misik die Gegenüberstellung von ökonomischen und kulturellen Erklärungen unterlaufen. Ökonomische und kulturelle beziehungsweise psychosoziale Dynamiken dürften nicht getrennt behandelt werden, sie seien »zwei Seiten einer Medaille«. Hier ist der Text am stärksten: Wo er in klarer Sprache deutlich macht, dass der ökonomische Umbau von Arbeitsverhältnissen und Sozialstaat zugleich ein kultureller ist und der Neoliberalismus der letzten 40 Jahren dramatische Auswirkungen auf das Selbst- und Weltbild von Lohnabhängigen hat. Verallgemeinerte Verunsicherung und die Zersprengung staatlich organisierter Solidargemeinschaften schaffe die Voraussetzungen dafür, dass rechtspopulistische Propaganda verfängt.
Der Befund böte Anlass, ihn mit jenen Fragen zu verbinden, die den Essay eigentlich antreiben: Warum werden unter diesen Bedingungen für Teile der Arbeiterinnenklasse, wie Misik selbst schreibt, »Thematiken wie ›Migration‹, ›ethnische Homogenität‹, aber auch Wertefragen wie ›Familie‹, ›Tradition‹, ›Normalität‹ wichtiger«? Was meinen manche »einfachen Leute« von rassistischer Ausgrenzung zu gewinnen? Doch das wird nicht erörtert, das unter Wählern der Rechten dominante Begehren nach Ausgrenzung und Abwertung anderer nicht ernst genommen. Misik reduziert es auf eine Reaktion auf ökonomischen Stress und »migrationsbedingte Veränderungen« im sozialen Nahbereich. Ansatzpunkte für eine tiefere Auseinandersetzung mit dem zu erklärenden Phänomen blitzen nur vereinzelt auf. Etwa wo das Konzept der »wages of whiteness«, des »öffentlichen und psychologischen Lohns«, den weiße Arbeiter in rassistischen Gesellschaften erhalten, erwähnt wird. Leider erschweren fehlende Quellenverweise interessierten Leserinnen, sich selbständig näher damit zu beschäftigen.
Deplatziert wirkt das ausführliche Kapitel zu »Identitätspolitik«. Was genau Misik damit meint, bleibt unklar, bisweilen wirkt es, als bekämpfte er einen Strohmann. Die Rolle, die rabiat-sektiererische Narzissten der kleinsten Differenz beim Aufstieg der Rechten spielen ist, wie der Autor selbst schreibt, unwesentlich. Wieso wird ihnen dann das längste von sieben Kapiteln gewidmet? Zumal Misik in weiten Teilen Argumente US-amerikanischer Konservativer und Liberaler (Mark Lilla, Francis Fukuyama, Joan C. Williams) wiedergibt. Mit den hiesigen Zuständen hat das wenig gemein. Das heißt nicht, dass von ihnen nichts zu lernen wäre, die dafür nötige kulturelle Übersetzungsleistung bleibt jedoch aus.
Der Essay endet mit als Schlusswort getarnten Ratschlägen für sozialdemokratische Politikerinnen. Wie dereinst Victor Adler und Bruno Kreisky müsse man »die Leute gernhaben« und mit den Gerechtigkeitsgefühlen jener rechnen, die man zu den einfachen zählt. Tatsächlich wären Empathie und Verständnis für die »Verletzungen durch Klasse«, die Misik gekonnt darstellt, eine notwendige Voraussetzung, um gegen die autoritären Populisten in die Offensive zu kommen. Noch wichtiger aber wären ein adäquates Verständnis davon, was Wählerinnen der extremen Rechten sich von ihren neuen falschen Freunden erhoffen, und programmatische Vorschläge gegen die Verheerungen neoliberaler Klassenpolitik. Beides sucht man bei Misik vergebens.
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