Wilhelm Reichs Solitär

von Helmut Dahmer

Mehr als 80 Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen ist Reichs Massenpsychologie des Faschismus soeben in der Originalversion von 1933 neu aufgelegt worden.


1737 wörter
~7 minuten

Wilhelm Reich MASSENPSYCHOLOGIE DES FASCHISMUS

Der Originaltext von 1933 Psychosozial Verlag, 2020, 280 Seiten EUR 33,90 (Ö), EUR 32,90 (D),CHF 41,90 (CH)

Unter den sogenannten Freudo-Marxisten, die in den Jahren 1925 bis 1935 versuchten, den historischen Materialismus Marxens und den biologischen Sigmund Freuds zu kombinieren, um ihre Gegenwart – und besonders Das deutsche Rätsel (Trotzki 1932) – zu verstehen, war Siegfried Bernfeld (Sisyphos, 1925), der erkannt hatte, dass die Psychoanalyse eine neuartige Wissenschaft eigener Art, nämlich eine »Kritische Theorie« ist, wohl der bedeutendste Theoretiker. Wilhelm Reich aber formulierte ihr politisches Programm (Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse, 1929/34). Seine 1930 bis 1933, also während der Agonie der Weimarer Republik geschriebene Massenpsychologie des Faschismus ist ein Solitär. Keiner seiner psychoanalytischen Kollegen, weder die von den Nazis Vertriebenen noch die im sicheren Ausland Lebenden wagten es, den braunen Stier bei den Hörnern zu packen und Hitlers Erfolg – die Organisation einer viele Millionen starken, kriegsbereiten Gefolgschaft – politisch-psychologisch zu deuten. Zwar hatte Freud schon 1920 in Massenpsychologie und Ich-Analyse über die Struktur massenfeindlicher Massenbewegungen aufgeklärt, doch die organisierten Freudianer, auch die sozialistischen, waren an seinen »kulturkritischen« Schriften wenig interessiert. Erst Theodor W. Adorno erkannte 30 Jahre später die Bedeutung der Freudschen Massenpsychologie für ein Verständnis des Faschismus. 

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