Kein Zurück zur Normalität

von Melanie Pichler

Die Möglichkeitsfenster, die durch die Corona-Pandemie aufgestoßen wurden, müssen dazu genutzt werden, in der Klima-Krise zu einer »Konversion durch Design« zu kommen.

Was angesichts der Klimakrise als utopisch galt, geht in Zeiten der Corona-Krise ganz schnell: Unternehmen stellen von heute auf morgen ihre Fabriken um und produzieren – weil staatlich angetrieben – gesellschaftlich notwendige Produkte. »Konversion durch Desaster«, also eine krisengesteuerte Umstellung der Produktpalette von Unternehmen, setzt sich – zumindest kurzfristig – durch. Beispielhaft zeigt sich das in der Autoindustrie. Noch im April begannen General Motors und Ford in den USA mit der Produktion von Beatmungsgeräten, um eine Überlastung des US-amerikanischen Gesundheitssystems abzufedern. Die von General Motors geforderte Kompensation in Milliardenhöhe verweigerte Trump. Auch in Deutschland produzieren Autozulieferbetriebe in Bayern auf staatlichen Auftrag hin Atemschutzmasken. Und in Italien kooperieren Ferrari und Fiat mit dem Gerätehersteller Siare Engineering, um höhere Produktionskapazitäten bei medizinischem Equipment zu erreichen. Mit Blick auf die Klimakrise sind solche Erfahrungen wichtig. Denn sie zeigen, dass klimaschädliche Industrien wie die Autoindustrie umgesteuert werden können. Wenn das politisch gewollt ist. 

Die aktuellen Beispiele staatlicher Einflussnahme zeigen dreierlei. Erstens, industrielle Produktion kann politisch gesteuert werden. Das ist eine wichtige Einsicht, weil die neoliberale Erzählung jahrzehntelang darauf pochte, dass der Markt (wer auch immer das genau ist) alleine entscheidet, was und wie produziert wird. Im Schatten der Corona-Krise denken Frankreich und Italien bereits laut über die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien nach, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern.

»WIR MÜSSEN ALS GESELLSCHAFTEN DARÜBER NACHDENKEN, WELCHE PRODUKTE UND DIENSTLEISTUNGEN WIR BRAUCHEN.«

Im Schatten der Klimakrise müssen wir darauf pochen, dass mit der staatlichen Kontrolle auch eine klima- und menschenfreundliche Umstellung der Produktion vorangetrieben wird. Sonst ist die Gefahr groß, dass mit der Verstaatlichung zwar die wirtschaftlichen Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden, aber alles weiterläuft wie bisher.

Dabei sollte uns zweitens die aktuelle Krisenproduktion auch Anlass zur Sorge geben. In den USA bezieht sich Donald Trump in der aktuellen Konversion durch Desaster auf den Defense Production Act. Das ist Kriegsrecht aus der Zeit des Koreakrieges in den 1950er Jahren. Und auch in Europa sollten autoritäre Tendenzen und Überwachungsfantasien nicht mit Verstaatlichungsromantik verwechselt werden. Die Möglichkeitsfenster, die durch die Corona-Krise aufgestoßen wurden, müssen dazu genutzt werden, zu einer »Konversion durch Design« zu kommen, die sich auf demokratisch legitimierte Verfahren stützt. Wir müssen als Gesellschaften darüber nachdenken, welche Produkte und Dienstleistungen wir brauchen. Und welche Prozesse der politischen Mitbestimmung für ihre Produktion notwendig sind. Wie die aktuelle Krise zeigt, können wir solche Entscheidungen nicht länger der Profitlogik überlassen.

Entscheidend ist drittens, dass das Wissen der Produzentinnen und Produzenten in Konversionsprozesse einbezogen wird. In der aktuellen Situation wird klar, dass Beatmungsgeräte nicht von beliebigen Unternehmen hergestellt werden können und dass Sicherheitsaspekte – nicht nur bei medizinischem Equipment – eine wichtige Rolle spielen. Das praktische Wissen von Arbeiterinnen und Arbeitern, die diese Geräte seit Jahren herstellen, entscheidet mit, ob die Umstellung gelingt. Beschäftigte spielen für die industrielle Konversion eine unmittelbare Rolle, ihr Wissen und ihre Erfahrungen müssen in demokratischen Aushandlungsprozessen genutzt werden. So könnten – jenseits von Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck – Fabriken mit unterschiedlichen Spezialisierungen zusammenarbeiten. 

All diese Möglichkeitsfenster können nur genutzt werden, wenn wir uns nicht die scheinbare »Normalität« vor der Corona-Krise zurückwünschen. Oder um (recht frei) mit Greta Thunberg zu sprechen: Die Normalität war eine Krise.

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