Die roten Bergsteiger

von Barbara Eder

Illustration: LEA BERNDORFER

Rote Bergsteiger ist nicht nur der Name einer der ersten DDR-Fernsehserien, sondern auch eine Bezeichnung für eine Handvoll Alpinisten, die 1932 zur 1. Deutschen Arbeiter-Kaukasus-Expedition aufgebrochen waren.


1448 wörter
~6 minuten

Vom Ort der Erleuchtung bis zu dem der Landung (»Nachtschiwan«) – so stellen frühe Reiseberichte den Kaukasus gerne dar. Als sowjetische Peripherien mit frühem SSR-Status zogen die heute unabhängigen Republiken Armenien, Georgien und Aserbaidschan in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts jedoch nicht nur die Aufmerksamkeit von Naturlyrikern, sondern auch die von Naturbegeisterten auf sich. Proletarischer Stolz und politischer Wille wie auch das Interesse am sozialistischen Aufbau zogen eine Gruppe von zwölf Bergsteigern aus Dresden und München im Juli 1932 in die Gebirgsformation am Rande Europas. Die dafür nötigen Vorbereitungen wurden von der Naturfreunde-Opposition – Vereinigte Kletterabteilung bereits Jahre zuvor getroffen. Der Grund für ihre autonome Organisierung war politisch: Innerhalb des sozialdemokratisch orientierten Mutterverbands der Naturfreunde bildete die kommunistische Fraktion früh eigene Seilschaften. Dem bürgerlich geprägten Gebirgstourismus hatten sie ebenso viel entgegenzusetzen wie seinem sozialdemokratischen Pendant – als militante Front, die vor der schroffen Zärtlichkeit des Ailama-Gletschers genauso wenig zurückschreckte wie vor dem Eis, das dem Tauwetter vorausgeht.

Bergsteigen, Klettern, Wandern oder Schifahren sind Sportarten, die nicht ganz günstige, aber populäre Freizeitbeschäftigungen in bergigen Regionen darstellen – oft wird dabei weniger gegen die Natur gekämpft, denn sich in ihr amüsiert: Es muss nicht gleich die Gipfelerklimmung sein, die am Endpunkt einer Unternehmung steht, oft reicht die verletzungsfrei überstandene Talfahrt aus, um das Abenteuer Urlaub erfolgreich absolviert zu haben. Für die aus der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts hervorgegangene sozialistische Umwelt-, Kultur- und Freizeitorganisation Naturfreunde lagen die Ziele tiefer – nicht der Gletscher, sondern das Tal war der bevorzugte Aufenthaltsort ihrer Mitglieder. Das Hinaufsteigen in sauerstoffarme Regionen galt nur wenigen als erstrebenswert. Derartige Ausflüge waren zu steil für das politische Programm. 

Rote Bergsteiger hingegen kannten keine Furcht vor eisigen Höhen. Die kommunistische Fraktion innerhalb der Naturfreunde wandte sich bereits gegen Ende der Zwanzigerjahre vom Dachverband ab. Bis 1930 rekrutierten diese sich vornehmlich aus unterschiedlichen Bergsteigerschulen des deutschsprachigen Raumes und waren in die Vereinigte Kletterabteilung des Touristenvereins (VKA) integriert; innerhalb des VKA bildete der sächsische Kletterklub Treugilde eine Art von politischer Avantgarde, die um den Kletterer und Kommunisten Erich Glaser zentriert war. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise und dem Erstarken des Faschismus in der Endphase der Weimarer Republik hatte sich die Arbeitersportbewegung mehrfach gespalten, 1926 wurde der Beschluss gefasst, dass jeder Arbeitersportler ein Mitglied der KPD oder SPD sein sollte. 

Entlang dieser Demarkationslinie differenzierte sich das politische Spektrum zwei Jahre später nochmals aus: 1928 wurde am Bundestag der Arbeitersportbewegung festgelegt, dass Arbeitersportler nicht länger an Sportveranstaltungen der Sowjetunion teilnehmen dürfen. Ebenso wurde ihnen untersagt, Beziehungen zur KPD und ihren Institutionen zu unterhalten. Demgemäß reagierten die kommunistischen Mitglieder innerhalb der Naturfreunde: Für sie galt es vom Aufbau in der Sowjetunion zu lernen, statt um die Anerkennung der SPD zu buhlen. Nach außen grenzten beide Fraktionen sich weiterhin von den bürgerlichen Bergsteiger- und Alpenvereinen ab – als politische Turn- und Sportbewegung, deren Ambitionen mit der Überwindung der bestehenden Klassenherrschaft verbunden waren. Weder sozialdemokratischen noch kommunistischen Sportlerinnen und Sportlern ging es bei der Ausübung ihrer Passion um Höchstleistungen und Rekorde. Ziel ihrer Aktivitäten war es, die kapitalistische Gesellschaftsordnung mitsamt der Deformation, die sie am Körper hinterlässt, zu überwinden. In einer programmatischen Schrift der Arbeitersportkultur heißt es dazu: »Der Arbeitersport ist aufgewachsen innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, die seinen Nährboden, das Proletariat, und seine Aufstiegsbedingungen, den Kampf der Arbeiter um die Verbesserung ihrer gesamten Lage, geschaffen hat.«

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