Mit Stand- und Spielbein

von Elsa Koester

Illustration: Lea Berndorfer

Mit der neuen Doppelspitze versucht sich die deutsche Linkspartei an einem notwendigen Spagat zwischen Regierungsverantwortung und kämpferischem Protest.


400 wörter
~2 minuten

Beim Bundesparteitag der Linken standen zwei Parolen an der Wand. Die eine: »Macht das Land gerecht!« Die andere: »#Aufbruch«. Wohin aufgebrochen werden soll, hat die neue Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow in ihrer Rede deutlich gemacht: Richtung Rot-Rot-Grün, weil, das sagte sie immer wieder, die Menschen auf die Verbesserung ihrer Leben nicht warten können. Sie müssen jetzt vor dem Zwangsumzug bewahrt werden, zu dem Hartz IV sie nötigt. Sie müssen jetzt wissen, ob sie ein Studium beginnen können. Sie brauchen jetzt eine bezahlbare, praktikable und nachhaltige Alternative zum CO2-ausschleudernden Auto. 

Doch da ist noch der andere Satz: »Macht das Land gerecht!« Im Imperativ und in der Mehrzahl. So erinnert der Appell an die alte Zeit, es spricht die Oppositionslinke. Für sie steht die andere Ko-Vorsitzende, Janine Wissler. In ihrer Dankesrede sagte sie, sie sei stolz, in der Linken zu sein, weil die Hartz-IV-Beratung ihrer Partei jenen, die dringend Unterstützung brauchen, ganz konkret hilft. Eine Protestpartei, die sich um die Verliererinnen des ungerechten Systems kümmert: So kennt man die Linke seit ihrer Gründung. Also, was nun: Aufbruch oder Protest?

Der Soziologe Andreas Reckwitz hat sich jüngst Gedanken zu Klimakrise und Pandemie gemacht, die diese widersprüchliche Aufbruchsstimmung erklären könnten. Resilienz, sagt Reckwitz, entwickelt sich zum neuen Leitbild der Politik: Zukunft erscheine als »ein Raum von Risiken, denen die Gesellschaft ausgesetzt ist«, und »an die Stelle der positiven Erwartungen und des Glaubens an die Machbarkeit einer besseren Zukunft tritt eine Normalisierung negativer Zukunftserwartungen«. Die Menschen setzten auf Sicherheit, nicht auf Aufbruchsexperimente. Gleichzeitig bedürfe es aber neuer Politiken, um aus den Krisen herauszukommen. Reckwitz schlägt vor, dass die Politik deshalb auf ein Standbein und ein Spielbein setzen soll. Das Standbein sorge für eine Infrastruktur der Sicherheit, das Spielbein brauche genug Raum für eine Politik »positiver Ziele gesellschaftlicher Verbesserung«.

Standbein und Spielbein, Wissler und Hennig-Wellsow. Letztere ist beim Losrennen in der ersten Woche schon gestolpert. Dabei stellte ihr der Journalist Tilo Jung im Interview nicht mal ein Bein – er fragte nur, wo die Bundeswehr stationiert ist. Und sie wusste es nicht. Wer regieren will, muss eben andere Regeln lernen als in der Opposition.

Der Spagat, den die Linke schaffen muss, ist kein kleiner. Jetzt muss in dieser Risikogesellschaft nur noch ankommen, dass die Linke ihr etwas zu bieten hat. Statt Sozialberatung anbieten Hartz IV abschaffen zum Beispiel.

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