Kampf um den digitalen Orient

von Raphaela Edelbauer

Illustration: Lea Berdorfer

In den Videospielen der großen Entwicklerstudios herrschen noch immer rassistische Stereotype vor, wenn es um die Darstellung des Nahen und Mittleren Ostens geht. Arabische Developer halten dagegen.


3033 wörter
~13 minuten

Das Dämmerlicht liegt schon auf der Machpela, der muslimischen Seite des Grabmals Isaaks, Abrahams und Jakobs, als der Muezzin zum şalāt al-ğum’a, dem Freitagsgebet, anhebt. Die seit dem 7. Jahrhundert als religiöse Stätte verwendete Abrahamsmoschee ist zum dargestellten Zeitpunkt, an dem auf der jüdischen Seite des Komplexes das Purimfest gefeiert wird, zum Bersten voll. Auf einmal eröffnet ein Mann in israelischer Uniform mit einer Automatikwaffe das Feuer auf die Betenden. 29 Menschen sterben, 150 werden verletzt, und man selbst sieht nur mehr das hollywoodesk schreiende Gesicht des Attentäters, ehe man sich auf ihn stürzen und entwaffnen muss. 

Taht al’Hisar (deutsch: Unter Belagerung) ist ein 2005 erschienenes PC-Spiel, das zweite des Entwicklers Radwan Kasmiyah vom damaszenischen Studio Afkar Media. Nachempfunden ist die Eingangsszene, in der die Spielerin in die Rolle des jungen Ahmad schlüpft, einer wahren Begebenheit. 1994 richtete der radikalisierte Ultraorthodoxe Baruch Goldstein ein Massaker im Krisenherd Hebron an. Daraufhin kam es seitens der Palästinenser zu Protesten und einem jahrzehntelangen Ringen um Versprechungen rund um die Sicherheit muslimischer Gläubiger. 

Das Spiel behandelte also ein aktuelles Thema: Bald schließt sich Protagonist Ahmad, der auf seinem Weg mit tragischen Hintergrundgeschichten Dutzender anderer Charaktere konfrontiert wird, der palästinensischen Gegenwehr an. Ein vorhersehbares Narrativ auf der einen Seite für jene, die Taht al’Ramad (deutsch: Unter Asche), Kasmiyahs erstes Spiel kennen, das 2002 die Geschehnisse um die erste Intifada nacherzählte. 

Eine rare Erscheinung jedoch, wenn man Taht al’Hisar mit dem 5,3 Milliarden Dollar schweren Gros der im Jahr 2020 verkauften Mainstream-Games vergleicht. Kasmiyah macht sich, ebenso wie viele andere arabische Spieleentwicklerinnen, keine Illusionen darüber, dass der westliche Konsument nicht gerne die Seiten wechselt. 

Während Spielereihen wie Call of Duty oder Battlefield den Nahen Osten als Raum unablässiger imperialistischer Interventionen verklärt, versucht Taht al’Ramad ihn als Schauplatz marginalisierter Geschichtsnarrative zu erschließen. Seine Gegenposition zum Markt jener gemeinhin islamophoben Spiele, die als »AAA+« (also qualitativ hochwertig und sehr umsatzstark) kategorisiert werden, bezeichnet er als conscious video game design.

»Ich versuche neutral zu bleiben«, sagt Kasmiyah in einem Interview mit der Website bidoun.com. »Auch wenn ich weiß, dass ich in der Wahrnehmung von Leuten aus dem Westen nicht so erscheine. Sie haben dreißig Jahre lang die eine Seite der Geschichte mitbekommen – ich werde also niemanden umstimmen können.« 

Klar verteilte Rollen

Während die Vorstellung, auf der Seite einer palästinensischen Bewegung oder einer panarabischen Organisation zu kämpfen, auf viele Spieler geradezu pikierend wirkt, sind proamerikanische Szenarien in Blockbuster-Titeln so normal, dass sich ihre politischen Implikationen im medialen Hintergrundrauschen auflösen. 

Ego-Shooter sind längst das beliebteste Genre der Spieleindustrie. Medal of HonorCall of Duty und Battlefield – jedes einzelne der Franchises sticht die großen Hollywoodfilme leicht aus was die Verkaufsvolumen angeht – lassen sich alle auf dieselbe Formel herunterbrechen. Spielerinnen schlüpfen in die Rolle amerikanischer Soldaten, die Jagd auf arabische Terrorzellen machen. Der 2019 erschienene 16. Teil der Call of Duty-Reihe, Modern Warfare, verdichtet die Agenda dieser Spiele auf geradezu paradigmatische Weise: Im fiktiven Land Urzikistan toben erbitterte Gefechte beim Aufspüren der islamischen Terrorzelle Al-Quatala, die sich Arm in Arm mit »den Russen« auf einem antidemokratischen Feldzug befindet. Unschwer lässt sich in Urzikistan Syrien im Jahr 2011 erkennen. Das Spiel trägt, wie Johan Höglund bemerkt, der über den Zusammenhang von Postkolonialismus und amerikanischen Videospielen forscht, die klassischen Insignien des im Mittleren Osten angesiedelten Kriegs-Shooters. NPCs (nicht-spielbare Charaktere), die dem anderen – also feindlichen – Lager angehören, sind ausschließlich männlich und zur Interaktion mit den Spielern unfähig. Ausgenommen davon ist bloß die Möglichkeit, zu töten und getötet zu werden. Strukturlose, chaotische, unzivilisierte Städte, in denen sich die Silhouetten Bagdads oder Damaskus’ erkennen lassen, erwarten sehnlich die militärische Ordnung, die ihnen das weiße army squad bringt. 

Das ist zunächst keine sonderlich überraschende Beobachtung, wenn man die Schemata vieler aktueller Filme und Serien betrachtet, die trotz jahrzehntelanger Entfremdung vom Kalten Krieg nicht genug vom hypermaskulinen, amerikanischen Freiheitshelden zu bekommen scheinen. Kurios ist aber, so Höglund, das: Der Stellenwert eines fingierten Realismus in diesen Spielen scheint ungleich höher zu sein als in den Netflix-Pendants. Das betrifft nicht nur immer höher auflösende Grafik und bessere Engines, sondern auch ein Marketing, das die Verbindung der Plots zu tatsächlichen Konflikten aktiv propagiert. Das Videospiel lade mehr als jedes andere Medium zur Selbstidentifikation mit dem politischen Szenario ein: »Videospiele belehren die Amerikaner mehr als Schulen, Religionen oder andere Formen der Populärkultur über Rasse, Gender, Sexualität, Klasse und Nationalidentitäten«, konstatiert Höglund in seinem Artikel Electronic Empire: Orientalism Revisited in the Military Shooter.

Was der Rezeption abgeht, ist systematische Medienkritik. Wie viele deutschsprachige Feuilletons würden im Gegensatz zu Romanen etwa die fragile fiktionale Balance von Battlefield mit kulturkritischen Methoden auswerten? 

Ziel einer solchen Analyse wäre es, naheliegenden Klischees entgegenzuwirken. Fast alle von den Medien rezipierten kriegerischen Auseinandersetzungen fanden im 21. Jahrhundert im Mittleren Osten statt – und was an bekannte, schlagwortschwangere Diskurse anschließt, verkauft sich auch. Noch immer sind dies häufig orientalistische Klischees, die systematisch den homo arabicus als Erzfeind verankern.

Fehlende Differenzierung

Unter Orientalismus wird im Sinne des palästinensischstämmigen Literaturtheoretikers Edward Said die Tendenz westlicher Kulturen verstanden, den »Orient« als homogene Region zunächst begrifflich zu konstruieren. In einem zweiten Schritt wird Deutungshoheit über die zum Terminus erstarrten Menschen und ihre Kolonialgeschichte zu erlangen versucht. Korollar einer solchen Praxis ist für Said das »Othering« – das Konstruieren eines uniformen »Anderen«, dem ein »Wir« gegenübersteht, in dem differenziert und individualisiert werden darf. 

Saids Konzeption wurde seit den 1970ern nicht nur in vielfacher Hinsicht aktualisiert und etwa zum Postorientalismus revidiert, sondern war gleichfalls früheren Diskursen entlehnt. So problematisierte schon 1963 der Ägypter Anouar Abdel-Malek in seinem Aufsatz Orientalism in Crisis die Tendenz, selbst bei oberflächlich positiver Resonanz auf die arabische Welt bloß deren kulturhistorische Vergangenheit zu glorifizieren. Die altphilologische Leutseligkeit – in Wien durch die 1754 gegründete Orientgesellschaft vertreten – implizierte mit diesem positiv-rassistischen Ressentiment, dass die großen Tage vorbei seien. Die Komplexität kultureller Interferenzen wird angesichts dieser Kitschromanzen unter den Tisch fallen gelassen. Diese Form des Orientalismus, so Abdel-Malek, sei auch deswegen so perfide, weil Einheimische sich ihre eigene Geschichte, deren kulturelle Artefakte oft geraubt und in westlichem Diskurs verzerrt worden seien, erst über Umwege über ebenjene wieder erschließen müssten.

Zwischen exakt diesen beiden Polen scheint auch sechzig Jahre nach Abdel-Maleks Theorien die sogenannte Orientrezeption in Videospielen zu oszillieren – das stellte der Medienwissenschaftler Vit Sisler in seiner qualitativen Studie The Digital Arab fest, für die 105 Spiele analysiert wurden. Je nach Genre, so Sisler, sei größtenteils eine von zwei Schablonen verwendet worden. In Action-Adventures oder Jump ’n’ Runs sei der Topos des magischen Orients aufgesucht worden – labyrinthartige Gebäudestrukturen, die westlicher Logik entbehren und voller Wunderlampen seien. In Shootern, auf der anderen Seite, bevorzuge man als Szenario den Topos des ewigen Kriegs, also den Schauplatz eines menschenleeren, frauen- und kinderlosen Battleground.

Mysteriöse Vergangenheit, martialische Gegenwart: Tatsächlich haben beide Enden der Parabel eine reiche Historie in der Gaming-Landschaft. 

Das Action-Adventure Magic of Scheherazade aus dem Jahr 1987, das für Nintendos NES veröffentlicht wurde, legte als einer der Archetypen des Genres fortlaufende Spielregeln ersterer Kategorie fest. Bestechend, und im klassisch Said’schen Sinne orientalistisch, ist etwa der krude Mix an Codes. Auf 1001 Nacht basierend spielt der Plot im nomenklatorisch kessen »Arabia«, in dem andalusische Nasridenbauten problemlos neben Beduinenzelten ihren natürlichen Platz finden. Die NPCs, die von Sikhs bekannte Dastars tragen, beklagen die Absenz der in Haremstracht herbeigeträumten Prinzessinnen, obwohl man sich gleichzeitig im goldenen Zeitalter des Islam zu befinden scheint. Passenderweise 8-bittet dazu eine generisch pseudochinesische Melodie: Man hatte damals den Soundtrack bei den Machern von Kung Fu Heroes in Auftrag gegeben, denn was nicht passend ist, kann ja mit dem Umayyaden-Säbel passend gemacht werden.

Realität versus Realismus

Die geistigen Väter des orientalistischen First-Person-Shooters hingegen sind etwas später zu suchen, spart man eine lange Tradition an Panzer- und Flugzeugsimulatoren aus, in denen in den 1980ern die Golfstaaten bombardiert werden mussten. Früh zeigte sich die Vorliebe der Spielerinnen für sogenannte realistische, weil in anderen Medien präsente Stoffe. Neben dem Kalten Krieg – dem Hauptschauplatz der frühen Titel jener Couleur – fanden in den 1990ern also bestenfalls die Golfkriege merklichen Niederschlag. Das Epizentrum der Simulationen verlagerte sich spätestens ab den frühen 2000ern, und seitdem immer stärker, in den Mittleren Osten, insbesondere in den Iran, Irak und in die Levante. In den Nachwehen des 11. Septembers, die für diese Entwicklung verantwortlich gewesen sein dürften, waren es nunmehr weniger feindliche Soldaten als vielmehr in Höhlen versteckte Terroristengruppen, die man zu bekämpfen hatte. 

Realismus spielt in diesen Releases noch immer auf zweierlei Arten eine Rolle: erstens als fundamentale Korrektheit der Naturgesetze und der anatomischen Details. Getragen wird ein solcher Realitätsanspruch von naturgetreuer Grafik und einer präzisen Engine. Die zweite Form von Realismus ist anderer Natur. Sie hat mit einem möglichst nahtlosen Anschluss des Stoffes an Diskurse zu tun, die man gleichzeitig in den Nachrichten mitverfolgen kann. Die Konsumentinnen sehnen sich eben auch danach, bei der Exekution Osama bin Ladens als agierender Teil eines weltgeschichtlichen Ganzen mitwirken zu können. 

Kuma/War aus dem Jahr 2004 zum Beispiel sprang – wenngleich im Verhältnis zu den anderen Franchises nicht mit großem Erfolg – als einer der ersten Releases auf den Irakkrieg-Trend auf. Schon in der ersten Mission müssen Udai und Qusay, die Söhne von Saddam Hussein liquidiert werden, was neben Missionen mit klingenden Namen wie »Osama 2001« als entscheidender Sieg im Krieg gegen den Terror verstanden wird. Unterfüttert werden die mit Medal of Honor-Pomp voranschreitenden Plots mit realen Zeitungsartikeln und CNN-gestylten Newsflashs, sodass sich der Spieler als legitimer Teil der Historie fühlen darf.

Beide Formen des Realismus sind im Grunde nicht neu; doch während jede für sich genommen weitestgehend ungefährlich scheint, zeitigt diese Kombination problematische Züge. Denn der Anspruch auf historische Akkuratesse – dass die Tötung Saddam Husseins auf gerade diese Weise abgelaufen sei – impliziert auch die Exaktheit kontingenter Teile des Gameplay. Etwa die uniforme, entmenschlichende Präsentation »der Araber« als ausschließlich terroristisch, männlich, radikalisiert, kriegsbesessen. Es erklärt die stereotypen Battlegrounds karger Wüstenstädte zu historischen Fakten, statt Komplexität und Brüche zu zeigen. 

Alexander Galloway, der an der New York University zu digitalen Medien forscht, nimmt eine etwas anders gewichtete Taxonomie zur Grundlage, wenn er zwischen »Realistic-ness« und »Social Realism« unterscheidet. So sei das Bestellen einer Pizza in Sims wesentlich näher am realen Leben als das Abwenden der Nuklearkatastrophe in Counter-Strike, auch wenn Letzteres in realistischerer Grafik gerendert sei. Authentische Darstellungen von Gesellschaftsrealitäten (»Social Realism«) bauen eben nicht auf fotografischer Auflösung auf. Denn »das, was ist« – die Darstellung des Status quo –, sei als Basis der »Realistic-ness« bloß Bekräftigung des medialen Konsenses. Wer vermeintlich »wahrhaft« zeigt, wovon er oder sie glaubt, dass es der Fall ist, reproduziert unweigerlich den ganzen Rattenschwanz seiner versteckten Rassismen und Vorurteile. Das Kennzeichen des sozialen Realismus hingegen ist es, Fiktionalität und Realismus selbst zu Arbeitsgebieten zu erklären. Um in den Simpsons Menschen zu sehen, ist eine Abstraktionsleistung nötig, die »Menschsein« selbst in gewissem Maße zum Arbeitsfeld erklärt. 

Erst wer die Grenzen des Mediums sichtbar macht, lädt zum Diskurs ein. Galloway zitiert dabei Bruno Reichlin, wenn er meint, echter Realismus verlange »eine mehr oder weniger direkte Kritik aktueller Gesellschaft und Ethik«. 

Produktion von Kämpfern

Die Herausforderung lautet also, das eingeschliffene Klischee eines konstanten Kriegsschauplatzes im Mittleren
Osten so zu zeigen, dass zur Arbeit an den eigenen Begriffen eingeladen wird. Was wie ein ontologisches Rätsel scheint, um das sich Spieledesignerinnen in M.C.-Escher-artiger Verrenkung bemühen müssten, wäre in der Praxis jedoch schon durch kleine Schritte besser bewältigbar. 

Derweil zeigt ein Blick auf die Titel, die den sogenannten Orient explizit thematisieren, dass manche geradezu als Propagandatools zu klassifizieren wären. Ronald Reagan prognostizierte schon in den 1980ern, Videospiele würden eine neue Generation von Cyber-Kriegern hervorbringen, die sich bald auf den echten Schlachtfeldern beweisen würden. In der Tat wurde zur Umsetzung dieser Prognose 1999, als sich die Rekrutenzahlen auf einem Rekordtief befanden, in einer staatlichen Initiative ein »aggressives Experiment« beschlossen. Ab 2002 konnten Spielerinnen kostenlos America’s Army spielen, in dem ein wirklichen Konflikten nachempfundener Militärkosmos auf sie wartet. Das Spiel verhehlt nicht seinen Turbopatriotismus: In einem für den Armeekonflikt zurechtgestutzten Irak bar jeder Zivilistin, fern der Insignien der modernen Welt, lassen sich Missionen zur »Rettung der Demokratie« durchspielen. Ziel des Spiels ist dabei nicht nur die Produktion von Rekruten, sondern auch Datenerhebungen über strategische Entscheidungen – die Handlungen der Spieler werden gesammelt und ausgewertet. 

Die Gut-Böse-Dichotomie lässt sich beliebig steigern. Im gleichfalls kostenlosen Conflict: Middle Eastern Peace Simulator von 1997 lässt sich der Nahostkonflikt ausschließlich aus der Position Israels schlichten, das heißt der Frieden nur durch die Durchsetzung seiner Interessen erreichen. Das »Palestinian Problem« ist die dauernde innenpolitische Bedrohung, Libanon und Syrien kollabieren, wenn nicht die eigene Armee durch eine rettende Invasion interveniert. 

Am äußersten Rand des Spektrums und freilich von ganz anderer Natur ist schließlich Muslim Massacre, in dem das einzige Ziel darin besteht, »Kontrolle über einen amerikanischen Helden zu übernehmen und die muslimische Rasse mit einem Arsenal der weltweit tödlichsten Waffen auszulöschen«, wie man der Spielbeschreibung entnimmt. Eric Vaughn, ein damals anonymes Mitglied des Online-Forums Something Awful, hatte das Spiel zum siebten Jahrestag von 9/11 ebendort gratis zum Download angeboten.

Muslim Massacre ist sicherlich eine Randerscheinung unter den Videospielen, doch solche Spiele miteinzubeziehen ist deswegen relevant, weil in abgemilderter Form dieselben kruden Verzerrungen auch die Blockbuster-Titel bewegen. So führte beispielsweise eine Episode in Call of Duty: Modern Warfare, in dem der »Highway of Death« zum Schauplatz wird, zu einem Aufschrei vieler Konsumentinnen. Dem eklektizistischen Narrativ des Spiels folgend, wird berichtet, der »Highway of Death« sei von russisch-islamistisch-irakischen Revolutionären errichtet worden, um zwangsarbeitende Zivilisten mit chemischen Waffen hinzurichten. Hervorhebenswert ist diese spezifische Splatter-Plotline deswegen, weil sich die Geschichte umgekehrt zugetragen hatte: 1991 bombardierte das U.S. Marine Corps eine Straße zwischen Kuwait und Saudi-Arabien, wobei 200 Fahrzeuge eingekesselt und mitsamt den Insassen vernichtet wurden. Eingebettet in eine Myriade quasihistorischer Verweise eignet sich der Shooter also auch dazu, unter dem Deckmantel des U-Spiels die eigene Geschichte umzudeuten.

Wenige Positivbeispiele

Dabei ist das Videospiel jenes Medium, das das tiefgreifendste Potenzial zu Identifikation besitzt, gerade weil man die Protagonisten selbst steuert, weil man vermeintlich »die Kontrolle hat«. 

Jene Titel, in denen sich die Spielerin mit einem als orientalisch gelesenen Menschen identifizieren dürfen, lassen sich an einer Hand abzählen. Unter den Franchises, die positive Resonanz für ihre Darstellung erhielten, ist immer wieder Assasin’s Creed zu finden. Schon das Originalspiel aus dem Jahr 2007 installierte als einer der ersten AAA-Titel in Altaïr Ibn-La’Ahad einen arabischen Protagonisten. Neben von der Kritik erteilten Punktabzügen für eine naturgemäß nicht minder klischeeschwangere Konfliktgeschichte zwischen Templern und Assassinen während der Zeit der Kreuzzüge lobte beispielsweise der Philosoph Mirt Komel, der an der Universität Ljubljana zu Ubisofts Franchise forschte, die protagonistische Darstellung einer positiven muslimischen Figur. Der Hauptcharakter Altaïr sei nicht nur ein Mensch mit individuellen, idealistischen Motiven. Auch das Bild von Assassinen (von Haššāšīn für Haschisch-Esser) als mörderischen, bedrohlichen Kultanhängern im 11. Jahrhundert werde aus seiner Klischierung gelöst. 

Ein anderes Beispiel für die Umsetzung anti-imperialistischer Kritik gelang Sid Meier, dem Erfinder der Strategiereihe Civilization. Für den sechsten Titel der Reihe wurden akribisch geschichtliche Details eingearbeitet, die eine Differenzierung historischer Realitäten greifbar machen sollen. Auch wurde im Spielsystem selbst von rein kampfbasierten Interaktionen stärker auf Kooperation gesetzt – de facto das gesellschaftliche Phänomen, das den Großteil des transkulturellen Austauschs zwischen der arabischen und der westlichen Welt dominierte. 

Perfekte Lösungen bietet keines der Spiele. In einer Gesellschaft, in der rassistische Ressentiments alle Schichten durchziehen, ist nicht von perfekten Utopien in Spielewelten auszugehen. Für den Punkt, an dem sich die Rezeption momentan befindet, wären jedoch schon kleine Signale wertvoll: Nicht jeden Auftritt eines arabischsprachigen Menschen in einem Konfliktsetting anzusiedeln etwa – Damaskus als urbanen Raum mit Zivilbevölkerung darzustellen, orientalisch gelesene Frauen nicht als sexualisierte, ohnmächtige Gruppe zu zeichnen. Will heißen: Es bräuchte kein postkolonialistisches Manifest in Spielform, sondern lediglich simple Erwägungen der Spieleentwickler, die die logische Konsequenz postkolonialer Diskurse sein sollten. 

Seit geraumer Zeit schon versucht eine stetig wachsende Anzahl arabischer Entwicklerinnen, den Spielern Identifikationsfiguren und Erlebnisse in ihrer Muttersprache zu ermöglichen. Saudi-Arabien ist dabei eine der dominanten Kräfte und der größte Spielemarkt der arabischen Welt – freilich hauptsächlich gefüttert von amerikanischen und europäischen Schlagertiteln. 

Abdullah Konash, der auf seiner Linkedin-Seite als Ziel deklariert, Vertreter einer arabischen Development-Szene zu werden, erklärte der Website Wamda, warum die Expansion in andere Länder so schwerfalle. Als er für Remaal Ventures, ein saudisches Studio, ein Lernspiel auf Steam veröffentlichte, war ein Shitstorm von westlichen Spielern die Folge, die sich von einem ausschließlich arabischsprachigen Spiel provoziert fühlten. 

An irgendeinem Punkt, so sind sich viele Developer einig, müssten die großen Studios mitziehen. Der niederländisch-ägyptische Spieleentwickler Rami Ismail wurde in den letzten Jahren als public speaker zu einem Advokaten der Inklusion marginalisierter Gruppen in Entwicklerkonzerne. 2015 meinte er auf einer Konferenz in Reaktion auf einen Titel mit 100 Millionen Dollar Budget, dessen arabische Inschriften fehlerhaft waren: »Das war ein Spiel, in dem ein gigantischer Teil des Budgets darauf verwendet wurde, dass man meine Leute auf hyperrealistische Art erschießen kann […] und sie konnten nicht einmal überprüfen, ob die Sprache korrekt ist.«

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