Die schlechteste aller Welten

von Samuel Stuhlpfarrer

Illustration: Lea Berndorfer

Pamela Rendi-Wagners Bemühungen, die Sozialdemokratie in die rechte Hegemonie einzuhegen, machen ihre Ablöse nicht weniger wahrscheinlich.


993 wörter
~4 minuten

Der stabile Faktor für das politische Projekt von Sebastian Kurz ist und bleibt auch nach diesem Sommer die SPÖ. Das liegt nicht an den Häkeleien zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans Peter Doskozil, denen vieles, bloß keine nennenswerte politische Differenz zugrunde liegt (Lisa Sinowatz schrieb darüber in TAGEBUCH NO 7-8/2021). Es liegt am politischen Bankrott, der in der Löwelstraße seit einer gefühlten Ewigkeit bloß noch verwaltet wird, an der handwerklichen Bescheidenheit der handelnden Personen und – ja, auch – an der auf Dauer gestellten Unfähigkeit der Parteilinken, einen Kampf um Posten und Positionen aufzuziehen.

Als wollte sich die Partei ihren eigenen Zustand selbst in Erinnerung rufen, forderte Rendi-Wagner zuletzt nur wenige Wochen vor der Übernahme des Landes durch die Taliban noch konsequentere Abschiebungen nach Afghanistan. Und verstieg sich bei der Gelegenheit gleich auch noch dazu, das Mantra vom »Jahr 2015«, das sich »nicht wiederholen« dürfe, zu übernehmen. Wir erinnern uns: Die schamlose Umdeutung von solidarischen Momenten des Zusammenkommens und der gegenseitigen Hilfe in eine Geschichte von unkontrollierten Horden, die das Land überfallen, bildete dereinst die Basis, auf der das Projekt Kurz aufschlagen konnte. Was läge für eine SPÖ-Vorsitzende auch näher, als den Spin der »neuen« ÖVP zu reproduzieren?

Tatsächlich ist Rendi-Wagners Volte allerdings mehr als der verzweifelte Rückgriff auf die kommmunikationspolitischen Tools glückloser PR-Berater aus den späten 1990er Jahren. In ihr spiegelt sich zweierlei wider: die absolute politische Kapitulation vor der rechten Hegemonie im Land und der Versuch einer nachhaltigen Re-Positionierung der österreichischen Sozialdemokratie am politischen Feld. Rendi-Wagner hat sich dafür das Schlechteste aus allen sozialdemokratischen Welten zusammengesucht.

Sollte sich der programmatische Mix aus sozialpolitischen Häppchen für die Mehrheitsgesellschaft, rassistischer Abschottungspolitik und neoliberalem Wirtschaften in der Partei durchsetzen, gibt es freilich Personen, die ihn glaubwürdiger vortragen können als die Noch-Parteivorsitzende, daran zweifelt in der SPÖ kaum jemand. Mit dem ehemaligen Bundesgeschäftsführer Max Lercher steht, wie man dieser Tage hört, der präsumtive Kandidat zur Übernahme auch schon fest – zumindest, wenn es nach den Landesparteiorganisationen in Niederösterreich, der Steiermark, Tirol und im Burgenland geht.

Der gesellschaftlichen Linken könnte all das herzlich egal sein, gäbe es auch nur ein einziges massenhaft wirksames politisches Projekt jenseits von SPÖ und Grünen. Die über Jahrzehnte erfolgreich praktizierte Integrationsfähigkeit der Sozialdemokratie gegenüber radikaleren linken Strömungen und Haltungen hat den Platz links von ihr veröden lassen. Das ist ein Grund (von vielen) für die strukturelle rechte Mehrheit in diesem Land. 

Ausnahmen bestätigen gleichwohl die Regel und eine solche lässt sich diesen September zum wiederholten Mal in Graz in Anschau nehmen. Es erfordert nicht viel Prognosemut, um vorherzusagen, dass die KPÖ unter Elke Kahr bei den Gemeinderatswahlen am 26. September erneut auf Platz zwei landen wird – während sich die SPÖ abermals knapp unter- oder oberhalb der Zehn-Prozent-Marke wiederfinden wird. Ob Kahr die ÖVP des amtierenden Bürgermeisters Siegfried Nagl gar herausfordern kann, ist derweil offen. 

Noch im Jahr 2003 wurde Graz von einem sozialdemokratischen Bürgermeister regiert. In den folgenden Jahren ging es für die Partei allerdings Schritt für Schritt bergab: Von 25,9 Prozent im Jahr 2003 auf 19,7 im Jahr 2008 und 15,3 im Jahr 2012. 2017 erreichte sie gerade noch 10,1 Prozentpunkte. Im gleichen Zeitraum etablierte sich die KPÖ als soziale Alternative in der Stadt. 2017 erreichte Elke Kahr erstmals mehr als 20 Prozent, fast so viel wie Ernest Kaltenegger bei seinem historischen Abschneiden im Jahr 2003. Der KPÖ Graz, die in der alltäglichen Praxis eine – auch in Regierungsverantwortung – glaubwürdige, der Form nach sozialdemokratische Vertretungspolitik etabliert hat, ist es in der steirischen Landeshauptstadt gelungen, die SPÖ als erste Adresse der arbeitenden Menschen abzulösen.

Das führt uns zurück ins Jahr 2015. Damals geisterte unter dem Eindruck der griechischen Syriza-Regierung das Wort von der »Pasokisierung« durch ganz Europa. Die Wortschöpfung verdankt sich dem Schicksal der ehedem stolzen sozialdemokratischen Partei Pasok, die von 43,9 Prozent im Jahr 2009 auf weniger als fünf Prozent im Jahr 2015 sackte, während das Linksbündnis Syriza nach 2015 den drohenden Staatsbankrott abwenden durfte. Das griechische Beispiel zeigt: Der fast vollständige Verlust der eigenen Stammwählerschaft ist nicht reversibel. Obwohl auch die Syriza-Regierung gegenüber dem Diktat der EU-Troika einknicken sollte, erreichte das Parteienbündnis im Jahr 2019 immerhin noch 32 Prozent. Zugleich kam die Pasok in einem Bündnis mit mehreren sozialdemokratischen Kleinstparteien mit Ach und Krach auf acht Prozentpunkte.

Zugegeben, von einem solchen Schicksal ist die SPÖ auf Bundesebene weit entfernt. Gut möglich, dass der von Rendi-Wagner unheilvoll angestoßene neue Kurs verbunden mit einer personellen Neuaufstellung auf niedrigem Niveau verfängt. In Dänemark etwa regiert die Sozialdemokratin Mette Frederiksen seit 2019 auf Grundlage einer vergleichbaren Agenda höchst erfolgreich. Eine SPÖ dieses Zuschnitts mit Max Lercher an der Spitze mag die 30-Prozent-Marke bei kommenden Wahlen auch hierzulande wieder überspringen, allein es wären 30 Prozent für ein verlässlich in die rechte Hegemonie eingehegtes Projekt. (Die schmerzhafte Gegenwart mahnt: Auch das gute Ergebnis einer grünen Partei und ihr darauffolgender Regierungseintritt sind keine Garantie für klimapolitischen Fortschritt oder menschenrechtliche Mindeststandards, solange sich der Zeitgeist weder um Klima noch um Menschenrechte schert.) 

Der Erfolg der Grazer Kommunistinnen führt übrigens wesentlich weiter zurück als man gemeinhin annehmen würde, nämlich ins Jahr 1972. Damals trat Ernest Kaltenegger aus der Sozialistischen Jugend aus und in die KPÖ ein. Anders als die SPÖ (im zweiten Jahr der ersten Alleinregierung Bruno Kreiskys) hatten die Kommunistinnen zu dieser Zeit keine Aufstiegsmöglichkeiten anzubieten, allenfalls eine Angestelltenposition mit bescheidenem Gehalt und die Gewissheit, dass es, sollte man ihr je den Rücken kehren, schwierig werden würde, anderswo unterzukommen. 1993, mehr als 20 Jahre nach Kalteneggers Übertritt, errang die KPÖ erstmals und gegen jeden Trend zwei Sitze bei den Grazer Gemeinderatswahlen. Das zweite Mandat entfiel damals auf Elke Kahr.

»DEN MIX AUS SOZIALPOLITISCHEN HÄPPCHEN FÜR DIE MEHRHEITSGESELLSCHAFT, RASSISTISCHER ABSCHOTTUNG UND NEOLIBERALEM WIRTSCHAFTEN KÖNNEN ANDERE GLAUBWÜRDIGER VORTRAGEN ALS DIE NOCH-PARTEIVORSITZENDE.«
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