Mehr werden

von Jana Volkmann

Editorial Ausgabe 11/2021

Papier wird brenzlig knapp. So langsam ist das keine reine Branchenmitteilung mehr, die die Allgemeinheit nicht interessieren muss, und es ist auch kein Nischenproblem. Buchhandlungen zum Beispiel – und alle, die ihr Einkommen mit Büchern bestreiten: etwa Schriftstellerinnen und Schriftsteller, Verlage, Druckereien, die ganze Logistikmaschinerie im Hintergrund mitsamt Zulieferern – fürchten ums Weihnachtsgeschäft. Fast hat man die zombie-apokalyptischen Bilder leergefegter Supermärkte in Boris Johnsons Post-Brexit-England vor Augen (»Ok, but not great«, kommentiert meine britische Freundin ihre Momentaufnahmen von den leeren grünen Plastikkisten in der Gemüseabteilung ihrer Coop-Filiale, zwischen denen es immerhin noch reichlich Trauben und Tomaten gibt). Auch die gedruckte Presse wird durch den Papiermangel in Mitleidenschaft gezogen. Hierzulande wahrlich nicht ihr ärgstes Problem, könnte man meinen: Die österreichische Regierungskrise betrifft schließlich insbesondere auch die Medien. Ob die nun tatsächlich so etwas wie die vierte Gewalt darstellen oder nicht, sei dahingestellt: Wo die Zeitungsmacher käuflich sind, bröselt die Demokratie wie trockenes Herbstlaub. Die Mediengruppe mit dem schmissigen Namen Österreich mag sich mit Gegengeschäften fürs Abdrucken gefälschter Meinungsumfragen eine goldene Nase verdient haben, ethisch bankrott war sie vorher schon. »Gefällige Berichterstattung gegen üppige Inseratenaufträge – diese Kombination ist hierzulande seit langem und über den Anlassfall hinaus wohlgelitten«, kommentiert Samuel Stuhlpfarrer ab Seite 10. Klar ist, dass nicht allein die skrupellose Boulevardpresse es mit dem professionellen Abstand zur Regierung Kurz nicht ernst genug genommen hat. Die medienkritische Aufarbeitung, die nun notwendig ist, wird sehr umfangreich sein müssen. Zuletzt belegte Österreich den 17. Rang des World Press Freedom Index von Reporter ohne Grenzen – »Ok, but not great«. 

Inserate von Bundesministerien gibt es im TAGEBUCH nicht, wir werden von den Leserinnen und Lesern finanziert. Das bedeutet jedoch auch: Seit zwei Jahren kämpfen wir als linke, unabhängige Zeitschrift um unser Bestehen. »Eine linke Zeitschrift für Österreich? Es ist möglich!« So hieß es an ebendieser Stelle in der Erstausgabe. Dass es möglich ist, das hat sich bewahrheitet, dass dieser Raum für kritische Gesellschaftsanalysen und linke Debatte notwendig ist, ebenso. Damit das TAGEBUCH bleibt, müssen wir spürbar mehr werden – vor allem braucht es mehr Abonnentinnen und Abonnenten. Das ist in aller Kürze der Hintergrund unserer Kampagne, die mit dieser Ausgabe auf unterschiedlichen Kanälen, digital und analog, startet. Wenn Sie also ohnehin schon länger überlegen, zu abonnieren, oder sich spontan dazu entschließen: Einen besseren Zeitpunkt als jetzt gibt es nicht.

In Anbetracht solcher Ereignisse wie der jüngsten Regierungskrise in Österreich, dem überraschend sensationellen Abschneiden der KPÖ bei den Grazer Gemeinderatswahlen und dem aus linker Sicht niederschmetternden Ausgang der Bundestagswahl in Deutschland ist diese Ausgabe gewiss eine, die noch stärker als gewohnt die tagesaktuelle Politik in den Blick nimmt. Karsten Krampitz etwa widmet sich in seiner Analyse der Bundestagswahl vor allem der Linken – und der Frage, wo in der jüngeren und weniger jungen Geschichte der Partei die Gründe für ihre jetzige desolate Lage liegen.

Das TAGEBUCH wäre aber nicht das TAGEBUCH, wenn es nicht wie stets auch einen globalen Blickwinkel einnehmen würde. Die Journalistin Alizeh Kohari hat eine Reportage über Fischer in Pakistan geschrieben, die systematisch in eine Schuldenfalle gelockt werden – von Unternehmern, die sich Flussabschnitte des Indus ersteigern. Die Fischer selbst, ihre Familien und Gäste bekommen so gut wie nie Fisch auf den Teller: Sie sind oft auf lange Zeit verschuldet und abhängig von der Gunst der Nutznießer dieses ausbeuterischen Systems. 

Zum Schluss noch ein Abschied, aber ein bunter. Mit dieser Ausgabe beschließt unsere Illustratorin Lea Berndorfer den zweiten TAGEBUCH-Jahrgang. Jede einzelne Illustration in jedem einzelnen Heft darin stammt von ihr – und sie sind allesamt, dafür kennen wir in Europa kein zweites Beispiel, analog hergestellt worden. Pinsel und Strich. Der Platz an dieser Stelle reicht nicht aus, um ihre Arbeit gebührend zu würdigen. Wir belassen es daher bei einem Dank für die großartige Zusammenarbeit und diesen schönen Jahrgang! Und einem Wunsch: Auf dass wir uns bald – nicht nur kollaborativ – wieder über den Weg laufen mögen.

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