Rap oder Kloster

von Norma Schneider

589 wörter
~3 minuten
Rap oder Kloster
Andrej Gelassimow
Russenrap
Blumenbar, 2021, 352 Seiten
EUR 22,70 (AT), EUR 22,00 (DE), CHF 30,90 (CH)

Die Neunziger sind in Rostow am Don im Süden Russlands keine gute Zeit. Die gewohnten Strukturen und Sicherheiten gibt es seit dem Ende der Sowjetunion nicht mehr. Armut und Kriminalität prägen den Alltag vieler und in den Krankenhäusern liegen Verwundete aus dem ersten Tschetschenienkrieg. Der Jugendliche Tolja träumt von einer Karriere als Rapper, aber erst mal hat er andere Probleme. Er ist drogenabhängig, fliegt von der Musikschule und hat ständig Ärger mit Gangs und Dealern. 20 Jahre, einen Entzug und eine Liebe später füllt Tolja das Moskauer Olympiastadion und seine größte Sorge besteht darin, trotz internationaler Tournee genügend Zeit für seine Familie zu finden.

Andrej Gelassimow erzählt in seinem Roman Russenrap eine Aufstiegsgeschichte, die gar nicht so klassisch verläuft, wie man anfangs denkt. Denn nachdem Tolja die Drogen hinter sich gelassen hat, will er mit seinem früheren Leben nichts mehr zu tun haben, auch nicht mehr mit der Musik. Stattdessen zieht er sich in ein Kloster auf dem Land zurück, wo er als Freiwilliger beim Bau einer Kapelle hilft. Wahrscheinlich wäre er Mönch geworden, hätte ihn nicht Julia aufgespürt, die seit Toljas ersten kleinen Konzerten in Rostow begeistert von ihm ist. Sie will, dass er etwas aus seinem Talent macht, verspricht sogar, ihn groß rauszubringen, ihr Vater hat nämlich Geld und Kontakte. Es kostet sie einiges an Geduld und Überredungskunst, bis Tolja tatsächlich mit ihr nach Moskau kommt, wo sie die ersten Weichen für seinen späteren Ruhm stellt.

Der Roman verwebt mehrere Zeitebenen miteinander, Szenen aus Toljas Jugend wechseln sich ab mit dem Tourleben des bereits berühmten Rappers, dann wieder geht es um die Zeit dazwischen. Es sind mal eindrückliche, mal eher belanglose Momentaufnahmen der Stationen auf Toljas Weg. Aber die Entwicklung zwischen diesen Lebensphasen, die Gründe, die Tolja die eine oder die andere Richtung einschlagen lassen, werden ausgespart. Am stärksten ist der Roman, wenn er Toljas Jugend in Rostow so nüchtern wie erschütternd schildert und – neben den Drogen – der Freestyle-Rap als einzige Möglichkeit erscheint, das alles zu ertragen. Der größte Teil des Buchs handelt allerdings von Toljas Zeit im Kloster, die von Eintönigkeit geprägt ist –
für ihn genauso wie für die Leser. 

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