Störungen im Lieferkettenkapitalismus

von Karin Fischer

Mangel an Halbleitern, steigende Energiepreise und überlastete Häfen künden von einer Legitimationskrise des Lieferkettenkapitalismus in unseren Gesellschaften des Überkonsums.

Nach einem starken Rückgang der Produktion am Anfang der Corona-Krise ist der weltweite Handel wieder auf Expansionskurs und hat das Vorkrisenniveau bereits überschritten. Dieses Wachstum trifft auf reduzierte Produktionskapazitäten und erhebliche Störungen in der Transportwirtschaft. Das Ergebnis sind Materialknappheit und steigende Rohstoffpreise.

Aufgrund von Materialengpässen gibt es laut österreichischer Wirtschaftskammer statt 20 Waschmaschinentypen bei Händlern derzeit oft nur drei. Die gehören zwar zu den gängigsten Modellen, viel Auswahl gibt es aber nicht, spezielle Kundenwünsche lassen sich nicht erfüllen. Den Fahrradhändlerinnen geht der Nachschub an E-Bikes aus. Dem hohen technischen Verschleiß bei E-Bikes stehen fehlende Ersatzteile gegenüber. Der Autoindustrie setzt insbesondere die Knappheit an Halbleitern zu. Die Stellantis-Tochter Opel hat im ostdeutschen Eisenach vorübergehend – es heißt bis Anfang 2022 – ihr Werk geschlossen. Die Beschäftigten sind in staatlich finanzierter Kurzarbeit. Kurzarbeit wegen Bauteilemangels gilt ebenso für BMW Steyr, Steyr Automotive (vormals MAN) und Stiwa. Der Chipmangel ist auch in der Unterhaltungselektronik zu merken. Auf einen Internetrouter, ein Smartphone oder die neueste Generation Spielkonsolen muss man möglicherweise einige Monate warten. 

Den Autobauern fehlen neben Chips auch Magnesium. Es wird wegen seiner Leichtigkeit und Festigkeit verstärkt eingesetzt und kommt fast ausschließlich aus China. Dort wurde, um die Umweltschutzvorgaben und CO2-Reduktionsziele der Regierung zu erfüllen, die energieintensive Magnesiumproduktion massiv gedrosselt. Die USA haben einen eigenen Produzenten, Europa nicht. Auch andere Industrien entlang der Aluminium-Wertschöpfungskette wie Bau oder Maschinenbau sind betroffen.

Die Probleme bei der Herstellung von Vorprodukten und der Lieferung von Rohstoffen in den frühen Abschnitten der Lieferkette werden durch Transportschwierigkeiten verstärkt. Die Häfen in der ganzen Welt, vom größten Containerhafen Ningbo-Zhoushan südlich von Schanghai bis Los Angeles, sind überlastet, die Lieferketten aufgrund der gestiegenen Nachfrage überschwemmt. US-Medien berichten, dass fast 13 Prozent der weltweiten Frachtschiffkapazitäten durch Verspätungen blockiert sind. Das führt zu einem Dominoeffekt. Rund 500 volle Container­schiffe warten vor den Häfen in Asien, Europa und Nordamerika darauf, anzulegen und abgefertigt zu werden. Die riesigen Containerschiffe – die größten sind 400 Meter lang und verdrängen 230.000 Tonnen – sind die unsichtbaren Kolosse im Lieferkettenkapitalismus. Sie machen sich erst bemerkbar, wenn sie feststecken.

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