Ein »Schwergewicht« des Genres Science-Fiction: Kim Stanley Robinson. (Foto: Privat)

Visionen für einen kaputten Planeten

von Mathias Thaler

Kim Stanley Robinsons »Ministerium der Zukunft« machte letztes Jahr als dringlicher wie realistischer Blick auf die Klimakrise Furore. In seinem Werk verbindet der Autor Science-Fiction, Klimawandel und Kapitalismuskritik.


2239 wörter
~9 minuten

Als Kim Stanley Robinsons Roman Das Ministerium der Zukunft letztes Jahr in der Übersetzung von Paul Bär auf Deutsch erschien, erreichte hierzulande erstmals ein Autor ein größeres Publikum, der in den USA schon lange zu den »Schwergewichten« des Genres Science-Fiction zählt – und zugleich zu einem ihrer Außenseiter. Auf andere, explizitere Weise politisch als viele seiner Kolleginnen, oft nahe an der Gegenwart und aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen, technologieaffin, aber nicht technologiegläubig, die kapitalistische Ungleichheitsdynamiken im Blick, zugleich die progressiven Potenziale technokratischer Institutionen auslotend – bei Robinson ist nicht nur im Sinne von wiederkehrenden Motiven und narrativen Elementen einiges anders. Er verfolgt, wie sein umfangreiches Werk deutlich macht, auch ein literarisch-politisches Programm, das man mit »utopischer Realismus – realistischer Utopismus« umschreiben kann.

Die schwelende Kontroverse um die politischen Konsequenzen des Klimawandels scheint sich verfahren zu haben. Dies zeigt sich vor allem darin, dass wir heute mit zwei konträren Strategien konfrontiert sind. Wie die Philosophin Donna Haraway festhält, haben wir es auf der einen Seite mit einem euphorischen Techno-Utopismus zu tun, der auf wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Innovationen setzt und Zuversicht verbreitet. Die Pläne für eine klimaneutrale Energiepolitik auf EU-Ebene zum Beispiel sind wesentlich von derartigen Hoffnungen getragen. Obwohl – oder gerade weil – es die zur vollständigen Reduktion von Treibhausgasemissionen benötigten Technologien noch gar nicht gibt. Zur Umsetzung eines effektiven »Net Zero«-Plans müssten außerdem gewaltige Landflächen zur CO2-Abscheidung und -Speicherung umgewidmet werden, was im globalen Süden wohl einen »grünen Neokolonialismus« zur Folge hätte und eine enorme Bedrohung für die weltweite Biodiversität darstellen würde.

Utopischer Realismus …

Dem Techno-Utopismus ist ein extremer Klimapessimismus entgegengesetzt, der zunehmend um sich zu greifen scheint. Studien konnten zeigen, dass sich besonders unter Jugendlichen – trotz der beeindruckenden Bemühungen Greta Thunbergs und Fridays for Future – Angst- und Depressionszustände aufgrund des Klimawandels ausbreiten. Solange diese individuellen Gefühle und Erfahrungen nicht von politischen Projekten aufgefangen und verhandelt werden, drohen immer mehr Menschen, einem selbstzerstörerischen Fatalismus zu verfallen.

Wie könnte man einen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation finden? Kim Stanley Robinson, dessen Werk mehr als 20 Romane und Erzählbände umfasst, der im deutschsprachigen Raum aber fast ausschließlich als Science-Fiction-Autor rezipiert wird, eröffnet einige in dieser Hinsicht interessante Perspektiven. Als bekennender Sozialist ist Robinson davon überzeugt, dass eine umfassende »Lösung« der vielfältigen Probleme des Klimawandels nicht alleine von innovativen Technologien ausgehen kann. Es wird eine sozioökonomische, unser existenzielles Verhältnis zur Umwelt betreffende Revolution brauchen, um die politischen Verwerfungen des Anthropozäns – jener geologischen Epoche, in der die Menschheit selbst zu einem den Planeten beeinflussenden Faktor wurde – zu bewältigen.

Zugleich weist Robinson den grassierenden Klimapessimismus zurück. Es gebe durchaus Grund zur Hoffnung, dass wir die schlimmsten Effekte des Klimawandels noch rechtzeitig abwenden können. Eine positive Zukunftserwartung, die jedoch nichts mit jenen Fantasien zu tun hat, die unkritisch auf neuartige Erfindungen vertrauen und ansonsten »business as usual« predigen.

Im Kern ist Robinson also ein Utopist, der sich zugleich ernsthaft mit den realen Gefahren und Potenzialen unserer Zeit auseinandersetzt. Seine Zukunftsvisionen sind deshalb vor einem Vorwurf gefeit, der seit jeher gegen utopische Projekte aller Art erhoben wird: dass sie letztlich abstraktem Wunschdenken entspringen und uns von den tatsächlichen Herausforderungen unserer Gegenwart ablenken würden. So wie viele andere unorthodoxe Marxisten – von Ernst Bloch bis Miguel Abensour – versucht Robinson, jene verkürzte Sichtweise, wonach Utopismus mit Eskapismus gleichzusetzen sei, zu korrigieren.

Um diese Interpretation von Utopismus besser einzuordnen, hilft ein Blick auf die historische Genese von Robinsons Denken. Sein literarisches und essayistisches Schaffen der letzten 30 Jahre deckt eine breite Palette an Themen ab, von epischen Erzählungen über die jahrhundertelange, in den 2020er Jahren beginnende Kolonisierung des roten Planeten (Mars-Trilogie, deutsche Fassungen 1997–1999) bis hin zu einer überraschenden Dramatisierung der letzten Eiszeit (Schamane, 2014). Zugleich beschäftigen sich Robinsons Bücher durchwegs mit tiefgreifenden sozioökonomischen Herausforderungen, die uns auch in der Gegenwart begleiten: Umweltkatastrophen sowie globale Ungleichheit sind die zentralen Probleme, um die sich beinahe alle seine Romane drehen.

Das Besondere an Robinsons Büchern ist, dass sie in ständigem Austausch mit seinen breit gefächerten wissenschaftlichen Interessen stehen: Als Doktorand des marxistischen Kulturwissenschafters Fredric Jameson schrieb er etwa in den frühen 1970er Jahren seine Dissertation über eine der Legenden des Science-Fiction-Genres, Philip K. Dick. Im Jahr 1995 besuchte Robinson zudem als Stipendiat der National Science Foundation die US-amerikanische Forschungsstation am Südpol, was zwei Jahre später die Publikation des Romans Antarctica (1997; deutsch: Antarktika, 2001) nach sich zog. Robinson ist mit einer Chemikerin verheiratet, die, wie er selbst betont, großen Einfluss auf seine Sicht der besonderen Dynamiken in »scientific communities« hat.

Seine Prosa greift immer wieder auf Debatten der Natur- und Geisteswissenschaften zurück, zuletzt am intensivsten auf theoretische Auseinandersetzungen in den Klimawissenschaften. Darüber hinaus hat sich Robinson in den letzten 15 Jahren als einer jener Autoren profiliert, die sich direkt am Anthropozän abarbeiten. Damit zählt er zu den wichtigsten Stimmen der in jüngster Zeit rege diskutierten »climate fiction«.

… und ein realistischer Blick auf Utopien

Der Utopismus Robinsons weist im Wesentlichen drei miteinander verbundene Grundzüge auf: Erstens ist sein Utopieverständnis von einem Bekenntnis zur praktischen Prozessfähigkeit von Utopien geprägt. Damit ist gemeint, dass Utopien entgegen der vorherrschenden Meinung nicht als fixe Endpunkte in der nahen oder fernen Zukunft verstanden werden, sondern vielmehr als ein beständiges Hinterfragen gegenwärtiger Machtstrukturen. Utopien sollen also nicht bloß als vorausblickende Abbildungen einer schönen neuen Welt funktionieren, die sich durch ihre Perfektion von einer kaputten Gegenwart abheben. Für Robinson bedarf es einer praktischen Umsetzung utopischer Visionen, um das wirkliche Potenzial radikaler Ideen auszuschöpfen. Er folgt dabei dem Soziologen Erik Olin Wright, der argumentierte, es brauche reale Praktiken, um alternative, den gesellschaftlichen Konsens erweiternde Lebensformen zu »präfigurieren«. Nur durch solche vorgreifenden Prozesse kann ein unhaltbarer Status quo tatsächlich transformiert werden.

Der zweite Aspekt, der Robinsons Utopismus charakterisiert, ist seine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konflikten, welche durch utopische Experimente selbst ausgelöst werden. In der Mars-Trilogie, die bis heute das Fundament des Renommees Robinsons als Science-Fiction-Autor bildet, wird der Mars als unwirtlicher, aber letztlich durch sogenanntes Terraforming bezähmbarer Planet beschrieben, auf dem das menschliche Streben nach kollektiver Selbstentfaltung aufs Neue herausgefordert wird. Zugleich imaginiert Robinson die Erde als einen hoffnungslosen Planeten, dessen natürliche Ressourcen durch transnationale Konzerne weitgehend zerstört worden sind.

In der Trilogie legt der US-amerikanische Autor schließlich nicht nur dar, wie der rote Planet über hunderte Jahre besiedelt und in ein der Erde ähnliches Habitat verwandelt wird, er setzt sich zudem mit den konkreten Herausforderungen auseinander, die daraus resultieren, dass utopische Praktiken unweigerlich von unterschiedlichen Interessenkonflikten mitgeprägt werden. So spaltet sich der ursprüngliche Siedlertrupp auf dem Mars entlang der Frage, inwieweit der Planet physisch unserer Erde angeglichen werden sollte oder nicht. Auf der einen Seite finden wir die Rote Fraktion, die sowohl aus kulturellen als auch aus ästhetischen Gründen für die Erhaltung der Mars-Ökosphäre plädiert. Ihr gegenüber steht die Grüne Fraktion, die angesichts der katastrophalen Situation auf der Erde für maximales Terraforming plädiert. Ein wesentliches Leitmotiv der Trilogie ist die Notwendigkeit revolutionärer Umstürze: Um einen wirklichen Neuanfang auf dem Mars zu wagen, muss sich der Siedlertrupp letzten Endes vollständig von der Erde loslösen. Ohne diesen Bruch wäre das utopische Experiment dem Untergang geweiht.

Wie Robinsons andere Romane endet die Mars-Trilogie ohne einen erlösenden Abschluss. Happy Ends kommen in seinen Utopien grundsätzlich nicht vor. Diese narrative Offenheit stellt die dritte Schlüsselkomponente seines Schaffens dar: Wenn der permanente Kampf um und innerhalb utopischer Projekte unvermeidlich ist, dann lässt sich niemals ein finaler Punkt erreichen. Utopien verbleiben also immer nur provisorisch, unfertig, im Entstehen begriffen. Diese strukturelle Unabgeschlossenheit lässt sich besonders gut anhand der Science in the Capital-Trilogie (2004–2007) illustrieren: In diesen Romanen untersucht Robinson, wie eine optimistische Bewältigung des Klimawandels organisch aus dem Status quo erwachsen könnte (in diesem Fall jedoch ohne revolutionäre Umwälzungen nach sich zu ziehen). Die Trilogie ist in einem Washington der nahen Zukunft angesiedelt, wo eine kleine Gruppe von Wissenschaftern mit kreativen Lösungen versucht, sich den enormen Problemen einer Welt im Klimawandel zu stellen.

Auf über 1.200 Seiten lotet Robinson so die Leistungsfähigkeit einer »scientific community« aus, die sich gegen kapitalistische Vereinnahmung zur Wehr setzt und nicht davor zurückschreckt, politisch Stellung zu beziehen. Durch eine detaillierte Beschäftigung mit der National Science Foundation – der zentralen Förderinstanz für wissenschaftliche Forschung in den USA – verortet die Science in the Capital-Trilogie den unsichtbaren Motor für progressive Entscheidungen in einer bürokratischen Organisation, die bahnbrechende technologische Innovationen finanziert und koordiniert. Zentral an diesem Porträt einer dem Staat dienenden wissenschaftlichen Elite ist, dass ihre vielfältigen Vorschläge für die Klimakrise meist nicht mehr, aber auch nicht weniger als einfallsreiche Übergangslösungen sind. Was bei Leserinnen erneut den Eindruck erzeugt, dass utopische Projekte niemals vollständig zu realisieren sind und häufig miteinander in Konflikt geraten.

Robinsons Romane drehen sich also um hypothetische Szenarien, die in der nahen oder fernen Zukunft angesiedelt sind. Diese Auslotung realer Optionen beruht nicht auf vorgefertigten Gewissheiten oder sicheren Prognosen, sondern auf dem vorsichtigen Erproben praktischer Möglichkeiten.

Konträre Wege in die Zukunft

Besonders in Das Ministerium der Zukunft, in dem es erneut um politische Reaktionen auf den Klimawandel geht, bedient sich Robinson einer Methode, die sich bereits in früheren Arbeiten bewährt hat: Mittels eines »proleptischen« (also vorgreifenden) Realismus spielt der US-amerikanische Autor Optionen und Gefahren der unmittelbaren Zukunft durch, vom gewalttätigen Ökoterrorismus bis zum Vorschlag eines grünen »quantitative easing«. Dieses Herangehen weist, trotz seines forcierten Wirklichkeitssinns, eine entschieden utopische Orientierung auf: Robinson betont immer wieder, dass die Grenzen des Vorstellbaren selbst neu gezogen werden müssen, bevor sich die Menschheit ernsthaft mit all den Facetten einer Welt im Klimawandel befassen kann. Sein schriftstellerisches und essayistisches Werk ist deshalb vielleicht am besten als der Versuch zu werten, emanzipatorische Neukonfigurationen der politischen Vorstellungskraft zu ermöglichen.

Robinsons hoffnungsvoller Grundton ist als der Anspruch zu verstehen, Brücken über jene Gräben zu schlagen, welche die reale Welt von der ersehnten Alternative trennen. Der daraus resultierende Utopismus geht über das Fabrizieren von Blaupausen hinaus, die einfach zu kopieren wären, um die auf uns zukommende Klimakrise einer »Lösung« zuzuführen. Vielmehr formuliert Robinson konkrete Vorschläge, wie die soziale Wirklichkeit verändert werden könnte, ohne jedoch den Eindruck zu erwecken, dass seine utopischen Visionen von idealer Makellosigkeit gekennzeichnet wären. In dieser Hinsicht ähnelt seine Prosa den »kritischen Utopien« Ursula K. Le Guins, Marge Piercys und Octavia Butlers aus den 1970er Jahren, die jeweils Ambivalenzen und Widersprüche in ihre Science-Fiction-Romane einbauten. Das Problem besteht freilich darin, dass es unsere Befangenheit in den ideologischen Umständen der Gegenwart verunmöglicht, diesen Brückenschlag zur ersehnten Alternative ohne Weiteres durchzuführen. Das Paradoxe an utopischen Projekten ist ja gerade, dass sie sich mit aller Vehemenz gegen die Schwerkraft der sozialen Wirklichkeit stemmen und dieser zu entkommen versuchen, ohne vollständig den Bruch mit der Gegenwart ausführen zu können. Wie schon Fredric Jameson beobachtete, ist jede utopische Vision von Beginn an durch ihr eigenes Scheitern mit charakterisiert. Dies ist jedoch gerade kein Beleg für die Nutzlosigkeit von Utopien, sondern macht die Notwendigkeit deutlich, dass wir mehrere und manchmal sogar konträr wirkende Wege in die Zukunft ausleuchten.

Robinsons Bekenntnis zum praktischen Prozeduralismus, sein Beharren auf der Unvermeidbarkeit von Konflikten sowie sein Plädoyer für narrative Offenheit verschmelzen auf diese Weise zu einer Vorstellung von Utopismus, die sich erfolgreich gegen abstraktes Wunschdenken wappnet. Was können wir aus diesem Verständnis von Utopien für unseren Umgang mit der Klimakrise lernen?

Durch seine bejahende Haltung zu wissenschaftlichen Innovationen stellt sich Robinson in die Nähe jener, die technologischen Neuerungen einen zentralen Platz im Kampf gegen den Klimawandel zuweisen. Aber seine vielschichtige Vorstellung von Utopien steht im Gegensatz zum Optimismus des sogenannten Ökomodernismus, dem zufolge es bloß einer rapiden Entkoppelung menschlicher Bedürfnisse von natürlichen Ressourcen bedürfte, um die katastrophalen Effekte des Anthropozäns aufzuhalten oder zumindest einzudämmen. Autoren wie Steven Pinker vertreten diese Ansicht, wobei er und andere dem Kapitalismus eine viel wichtigere Rolle als dem Staat zuschreiben: Durch das Profitstreben sei garantiert, dass wirtschaftliche Eliten unentwegt nach Innovationen Ausschau halten, die schließlich Lösungen für eine Welt im Klimawandel herbeiführen sollen.

Robinson widerlegt diese Argumentation, indem er den Kapitalismus selbst als ein »System dummer Regeln« entlarvt. Dumm (und bedrohlich) ist der Kapitalismus deshalb, weil er die Potenziale menschlicher Kooperationsneigung fatal unterschätzt und so die wahren Möglichkeiten wissenschaftlicher Zusammenarbeit untergräbt. Mit Robinson könnte man daher zur Schlussfolgerung gelangen, dass im Gegensatz zur Vorstellung eines entfesselten Kapitalismus, der die Klimakrise nur weiter verschärfen wird, der Reiz von utopischen Visionen gerade darin besteht, dass sie einen dynamischen, turbulenten, quälenden Prozess in Bewegung setzen. Und dass dieser Vorgang kein Happy End in Aussicht stellt, mag sich angesichts ständig verändernder Herausforderungen im Anthropozän als ein unwägbarer Vorteil erweisen.

»Robinsons hoffnungsvoller Grundton ist als der Anspruch zu verstehen, Brücken über jene Gräben zu schlagen, welche die reale Welt von der ersehnten Alternative trennen. Der daraus resultierende Utopismus geht über das Fabrizieren von Blaupausen hinaus, DIE EINFACH ZU KOPIEREN WÄREN.«
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