Nach dem ersten von zwei Wahlgängen zur französischen Nationalversammlung am vergangenen Sonntag liegt das Wahlbündnis »Ensemble« von Emmanuel Macron knapp hinter dem linken Zusammenschluss NUPES (Nouvelle Union populaire écologique et sociale), das sich um Jean-Luc Mélenchon gruppiert. Dem Ex-Präsidentschaftskandidaten haben sich zuvor alle relevanten Linksparteien Frankreichs angeschlossen. Ensemble dagegen musste am Sonntag ein Minus von rund sechs Prozentpunkten gegenüber der letzten Parlamentswahl hinnehmen.
Das Wahlergebnis ist ein unerwarteter Erfolg für die französische Linke, umso mehr, als sie noch im April daran gescheitert war, in die Stichwahl um das französische Präsidentenamt einzuziehen. Allerdings: Schon damals fehlten Jean-Luc Mélenchon nur wenige Hunderttausend Stimmen; mit knapp 22 Prozent konnte er aber einen Großteil des gegenwärtigen linken Potenzials auf sich vereinigen.
Im Unterschied zum Wahljahr 2017, als Mélenchon und »seine« Organisation La France insoumise (LFI) nach fünf Jahren der neoliberalen Präsidentschaft des Sozialdemokraten François Hollande auf den vollständigen Bruch mit den Parteien der politischen Linken und dem System der Fünften Republik gesetzt hatten, signalisierte er bei diesem Wahlgang schon frühzeitig die Bereitschaft zu einer, wenn auch nur taktischen, Zusammenarbeit aller linken Kräfte. Tatsächlich gelang es ihm mit dem Versprechen, eine ergebnisoffene Debatte über die programmatischen Ziele seines Präsidentschaftswahlkampfs zuzulassen, das gesamte progressive, »mosaiklinke« Spektrum zu erreichen: Aktivistinnen aus dem Umfeld der jüngsten Umweltbewegungen, Akademiker, Gewerkschafter und Feministinnen – sie alle nahmen Mélenchons Einladung bereitwillig an und legten den Grundstein dafür, dass er sich bei der presidentielle innerhalb des linken Lagers an die Spitze setzen konnte. Die schwachen Wahlergebnisse der grünen und sozialdemokratischen Kandidatinnen waren eine logische Folge dieser Entwicklung und ließen deren Parteiführungen letztendlich keine andere Wahl, als das Angebot einer vertieften Zusammenarbeit mit Mélenchons LFI anzunehmen. Auf diese Weise sollte immerhin eine gewisse parlamentarische Präsenz im Mehrheitswahlsystem bewahrt beziehungsweise im Falle der Grünen überhaupt erst wiedererlangt werden.
Allein die Überwindung der gegenseitigen Konkurrenz hat dazu geführt, dass die Linke die Zahl jener Wahlkreise, in denen sie am kommenden Sonntag Kandidatinnen in die Stichwahlen schicken kann, weit mehr als verdoppeln konnte. Umfragen sagten ihr zuletzt bis zu 230 Sitze voraus, vor der Bildung von NUPES vor zwei Monaten sahen die Demoskopen die diversen Linksparteien insgesamt bei maximal 100 Sitzen.
»Ab kommendem Sonntag wird Macron wohl wahlweise auf die Stimmen der NUPES oder der extremen Rechten des Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen angewiesen sein.«
Ob es allerdings gelingen kann, nach den Stichwahlen eine eigene Regierungsmehrheit zu erreichen, ist heute mehr als fraglich. Außerhalb der eigenen Hochburgen dürfte es schwer werden, die Kandidaten des »Macronismus« zu besiegen. Zugleich – und das ist der größte Erfolg von NUPES – ist auch dem Lager von Macron eine parlamentarische Mehrheit alles andere als gewiss. Aus heutiger Sicht scheint selbst ein mit anderen bürgerlichen Abgeordneten gebildeter Überhang unsicher. Dieses Szenario würde bedeuten, dass Macron nach dem kommenden Sonntag wahlweise auf die Stimmen der NUPES oder der extremen Rechten des Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen angewiesen wäre – zumindest für ein Jahr. Frühestens dann könnte der Präsident die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ansetzen. Macrons vertikales Politikverständnis legt nahe, dass er vor dieser Option nicht zurückscheuen wird.
Für die gesellschaftliche Linke gilt es indes, die Freiräume, die durch diese institutionelle Unklarheit entstehen, auszunutzen. Indem sie die politischen Verbindungen zwischen den Linksparteien stärkt und den »Macroniten« zugleich vermittelt, dass deren große neoliberale Reformprojekte, wie die Erhöhung des Renteneintrittsalters und weitere massive Steuersenkungen für Vermögende und Konzerne, auf entschiedenen Widerstand stoßen werden. Gelingt es gar, eine lebendige Verbindung von sozialen Bewegungen und der NUPES zu etablieren, könnte sich die Chance auftun, im Zuge vorzeitiger Neuwahlen im Jahr 2023 die Regierungsmacht zu erringen.
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