Geldpolitik als Klassenkampf

von Miriam Frauenlob

Die Zentralbanken der USA und der EU haben auf die Inflation mit Zinserhöhungen reagiert. Die Folge: Sie schwächen die Macht der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Schon letzten Frühling reagierte die Fed, die Zentralbank in den USA, auf die Preissteigerungen, indem sie die Zinssätze erhöhte. Die EZB zog rasch nach, und innerhalb der letzten Monate stiegen die Nominalzinsen sowohl in den USA als auch in Europa auf 4,5 bzw. 2,5 Prozent. Das ist zwar verglichen mit früheren Jahrzehnten nicht außergewöhnlich hoch, doch die Geschwindigkeit der Zinserhöhungen zeigt deutlich, dass die Notenbanken sich gezwungen sehen, auf die Preissteigerungen zu reagieren. Hinter dieser Zinspolitik steht zunächst eine volkswirtschaftliche Theorie: Das Konzept der Phillipskurve behauptet einen negativen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit. Nach der gängigen Interpretation von Inflation ist diese ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Wenn nun die Nachfrage stärker wächst als das Angebot, müsse man die Nachfrage drosseln, indem man die Arbeitslosigkeit erhöht.

Dieser auf den ersten Blick technisch anmutende Zusammenhang wurde schon in der Vergangenheit genutzt, um die Macht von Arbeiterinnen und Arbeitern zu zerschlagen. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Hochzinspolitik von Fed-Chairman Paul Volcker unter Präsident Ronald Reagan. Mit Zinssätzen von über 20 Prozent wurde ab 1979 eine Rezession herbeigeführt, die Arbeitslosigkeit stieg auf den höchsten Wert seit der großen Depression. Innerhalb weniger Jahre sanken die Reallöhne, während sich die Profitraten von Unternehmen erholten. Die Krise wurde überwunden, den Preis dafür zahlten die Lohnabhängigen, die jahrzehntelang kaum Reallohngewinne erreichen konnten.

Viele Ökonominnen weisen nun zu Recht darauf hin, dass die aktuelle Inflation nicht durch eine florierende Wirtschaft und hohe Löhne ausgelöst wurde. Zu den entscheidenden Faktoren gehören Nachholeffekte der Pandemiezeit, Lieferkettenprobleme und schlussendlich die Energiekrise infolge des Kriegs in der Ukraine. Die Probleme liegen also vielmehr auf der Angebotsseite. Diese Analyse ist im Großen und Ganzen korrekt. Doch sie greift zu kurz, wenn sie nicht auf die Klassenpolitik hinter den geldpolitischen Reaktionen verweist. In den USA treten diese sehr deutlich zutage: Dort konnten Beschäftigte insbesondere im notorisch schlecht bezahlten Dienstleistungsbereich von der guten Situation am Arbeitsmarkt profitieren und höhere Löhne erkämpfen. Doch auch in den USA ist das Lohnwachstum nicht der treibende Faktor der Inflation. Es wird aber als Knackpunkt für eine Lösung betrachtet. Jerome Powell, Vorsitzender der US-Notenbank, spricht ganz offen darüber, dass ihm der Arbeitsmarkt »zu angespannt« sei und die Zinserhöhungen bewusst darauf abzielten, diesen wieder zu schwächen – also die Arbeitslosigkeit zu erhöhen.

Die Vorstellung, man müsse bloß Angebot und Nachfrage wieder aneinander anpassen, um die Inflation zu stoppen, besteht genauso, wenn das Problem am fehlenden Angebot liegt. In Europa ist es glasklar, dass die Reallöhne eher sinken als steigen. Dies haben alle miterlebt, die Energierechnungen in exorbitanten Höhen bekommen haben oder in der Angst davor schon in kalten Wohnungen leben. Zwar stellt dies nicht das Lehrbuchbeispiel der Volkswirtschaftslehre dar, doch wenn man manchen Mainstream-Ökonomen zuhört, dann ist die Vorstellung dennoch eine ähnliche: Angebot und Nachfrage passen nicht zusammen, und weil man das Angebot nicht ausweiten kann oder will, muss die Nachfrage gedrosselt werden.

Schlussendlich ist es für die Folgen der Inflationsbekämpfung irrelevant, ob die Zentralbanken nach dem Motto »Mit einem Hammer sieht alles wie ein Nagel aus« handeln und auf die europäische Energiekrise reagieren – oder knallhartes klassenpolitisches Kalkül dahintersteckt. Steigende Zinsen sind tendenziell negativ für Arbeiterinnen und Arbeiter, insbesondere für jene, die durch Drosselung der Wirtschaft in die Arbeitslosigkeit rutschen.

Die linke Ökonomin Joan Robinson meinte einmal, das Einzige, was schlimmer sei, als durch Kapitalisten ausgebeutet zu werden, sei, nicht durch Kapitalisten ausgebeutet zu werden. Das heißt im Gegenzug nicht, dass es keine Antwort auf die Inflation braucht. Doch es zeigt deutlich, dass die etablierten Kanäle – ob bewusst oder unbewusst – Inflationsbekämpfung auf dem Rücken der oft ohnehin schon prekär beschäftigten Lohnabhängigen austragen.

»Weil man das Angebot nicht ausweiten will, muss die Nachfrage gedrosselt werden.«
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