»Es ist ein ganz hartes Match«

von Samuel Stuhlpfarrer

Fotos: Christopher Glanzl

Andreas Babler gilt als linker Hoffnungsträger im Kampf um den SPÖ-Vorsitz. Ein Gespräch über Underdogs, innerparteiliche Demokratiedefizite und seine Pläne in Sachen Klimakrise, Migration und Verteilungsgerechtigkeit.


2782 wörter
~12 minuten

Samuel Stuhlpfarrer | Während wir uns hier im Traiskirchner Rathaus unterhalten, tagen Präsidium und Parteivorstand der SPÖ in Wien, um die Bedingungen der Mitgliederbefragung endgültig zu klären. Dich hat man als einzigen Bewerber nicht eingeladen. Enttäuscht?

Andreas Babler | Es ist besser, hier zu sitzen.

SSt | Tatsächlich?

AB | Es ist so, dass in der Partei teilweise wirklich ein vergiftetes Klima herrscht, auch auf persönlicher Ebene. Was man da in den letzten Wochen an Stellungnahmen gehört hat, macht nicht gerade große Lust darauf, an den Kämpfen dieser beiden Clans teilzunehmen. Das ist nicht mein Thema. Eigentlich müsste man als Partei auch aus einem solchen Umgang rauswollen.

SSt | Hast du die Vehemenz, mit der der Parteiapparat seine Linie verfolgt, erwartet, oder kam das doch überraschend?

AB | Es zeigt sich, dass das eben ein ganz hartes Match ist, das sich Doskozil und Rendi-Wagner liefern. Ich habe meinerseits mehrfach versucht, auch schriftlich, eine gemeinsame Vorgehensweise für einen transparenten, demokratischen Prozess anzustoßen. Das ist aber auf überhaupt keine Gegenliebe bei diesen beiden Lagern gestoßen. Manchmal habe ich den Eindruck, die würden meinen Namen am liebsten auf die Rückseite des Stimmzettels drucken. Oder in die Knickfalte.

SSt | Bist du dennoch zuversichtlich, dass du am Ende die Befragung gewinnen wirst?

AB | Sehr. Ansonsten würden wir diese Kampagne nicht mit dieser Leidenschaft betreiben. Wir haben hier in Traiskirchen ein gutes Team aufgestellt in den letzten Jahren. Es zeigt sich, dass hier alles weiterläuft, wenn ich ein paar Tage im Urlaub bin. Das ist die Grundvoraussetzung. Und ich selbst absolviere am Tag drei, vier, fünf öffentliche Auftritte bei Ortsparteien oder Sektionen. Mein Papa hat mir sein Auto geborgt, weil mein eigener VW-Bus nur eine vordere Sitzreihe für drei Personen hat, ich aber immer mit vier, fünf Freiwilligen in ganz Österreich unterwegs bin.

Natürlich treffen wir dabei nicht 70.000 Leute und schon gar nicht alle 150.000 SPÖ-Mitglieder, aber einige Tausend sind es trotzdem, und das erzeugt ein Momentum, das wir spüren. Das macht uns mehr als zuversichtlich.

»Bei Doris Bures habe ich das Gefühl, dass sie bei der Frage der jetzt zur Debatte stehenden Funktion tatsächlich All-in geht. Das ist vielleicht der Unterschied. Die gehen All-in, wenn es um Funktionen geht, mir geht es um ein All-in für die Sozialdemokratie.«

SSt | In den letzten Jahren finden wir in Europa mehrere Beispiele für Mitgliederabstimmungen in sozialdemokratischen Parteien, aus denen die linken Underdogs siegreich hervorgegangen sind: zuletzt in Italien Elly Schlein, davor in Deutschland Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans und 2015 Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party. Mit wem davon siehst du inhaltlich am meisten Gemeinsamkeiten?

AB | Wenn man schon einen internationalen Vergleich heranziehen will, sehe ich die meisten Gemeinsamkeiten eigentlich mit AOC, also mit Alexandria Ocasio-Cortez von den US-Demokraten. Das betrifft den Anspruch, eine Grassroots-Kampagne von unten aufzuziehen, das betrifft die Klarheit in der Sprache, und natürlich betrifft das die notwendige Konsequenz in den Inhalten. Gleichzeitig hat AOC gezeigt, wie man gegen alle Verhinderungsbemühungen aus dem Partei-Establishment Wahlen gewinnen kann. So coole Instagram-Videos wie sie mache ich natürlich noch nicht. Über Elly Schlein weiß ich offen gesagt zu wenig.

SSt | Über Schlein lässt sich ohnehin noch nicht Bilanz ziehen. Jeremy Corbyn und das Duo Esken/Walter-Borjans sind aber doch krachend gescheitert. Sie haben zwar den Parteivorsitz errungen, allerdings zeigte sich in beiden Fällen, dass die rechte Parteibürokratie ihre Projekte zum Scheitern bringen konnte. Warum sollte es bei dir anders kommen?

AB | Ich bin überzeugt davon, dass wir in der SPÖ gerade die letzten Gefechte dieser alten Parteiapparate und Hinterzimmermanöver beobachten können. Man sieht das im Moment in Wien, wo es der Partei nicht mehr gelingt, ihre Kandidatin so mir nichts, dir nichts bis in die kleinste Sektion durchzudrücken. Und man sieht es auch daran, dass sich die übrigen Landesvorsitzenden scheuen, eine Empfehlung abzugeben. Das, was man noch aus den 1990er- und 2000er-Jahren kennt, dass in der Löwelstraße jemand mit dem Finger schnippt und die Mitglieder zu folgen haben, das ist tatsächlich vorbei. Das ist vielleicht der Unterschied zur Labour Party. Dort ist Corbyn auf einen voll funktionsfähigen Apparat getroffen, der seine Wahl nicht akzeptieren wollte.

Wir merken das auch an unserer Kampagne, die ja ein Ergebnis davon ist, dass sich im Zuge des Streits zwischen Doskozil und Rendi-Wagner ein Fenster geöffnet hat. Unbeabsichtigt, wohlgemerkt. Hans Peter Doskozil wollte die Entscheidung über den Parteivorsitz nicht in den Gremien getroffen sehen. Dass sich ein dritter Kandidat bewirbt, war dabei nicht vorgesehen. Jetzt aber sehen wir, dass tausende Mitglieder eintreten – und dass die Mitglieder nicht nur ihre Stimme abgeben, sondern ihre Stimmen auch erheben wollen.

SSt | Im ersten Interview nach seiner Ablösung als Parteichef nannte Corbyn als seinen größten Fehler, dass er in puncto Parteidemokratisierung dem Labour-Establishment zu sehr entgegengekommen sei. Tatsächlich ist er heute selbst ein Opfer davon. Die Labour-Führung hat seiner Londoner Bezirksgruppe zuletzt untersagt, Corbyn erneut als Kandidaten für die nächsten Unterhauswahlen zu nominieren. Welche Demokratisierungsmaßnahmen braucht es denn innerhalb der SPÖ?

AB | Tatsächlich bemühe ich mich gerade darum, auch in Abstimmung mit den Flügeln um meine beiden Gegenkandidaten, dass man beim kommenden Bundesparteitag entsprechende Beschlüsse fasst. Konkret, dass man künftig nicht nur die Vorsitzwahl in Urabstimmungen klärt, sondern dass es solche Abstimmungen auch verpflichtend über Koalitionsabkommen geben muss. Es geht darum, Pflöcke einzuschlagen, damit man künftig – und ganz unabhängig davon, wie die Wahl jetzt ausgeht – auf die Mitglieder zurückgreift, wenn es um die Entscheidung großer Fragen geht. Um auf deine Frage zurückzukommen: Die Lehre aus dem Corbyn-Beispiel ist vielleicht, die Demokratisierung der Partei generell hochzuhalten – nicht nur dann, wenn es irgendwelchen strategischen Überlegungen dient. Da muss es beim Bundesparteitag ein Zeichen für Erneuerung geben. Das Bewusstsein dafür, dass es diese braucht, ist in unserer Partei vorhanden, daran habe ich überhaupt keinen Zweifel. Nur findet man es nicht an der Spitze, sondern zum Beispiel in den Bezirkssekretariaten. Ich erinnere nur daran, wie an jenem Freitag im März, als die Frist für Kandidaturen und Mitgliedschaften endete, Bezirksgeschäftsstellen in ganz Österreich bis 23.59 Uhr offen waren, damit jeder und jede noch beitreten konnte, um mitzuentscheiden. Ich hatte gestern Abend eine Veranstaltung, da war ein Besucher, der mir erzählt hat, dass er 1987 aus der SPÖ ausgetreten und jetzt, mehr als 35 Jahre später, wieder beigetreten ist. Dass es solche Menschen gibt und dass sie es wert sind, wiedergewonnen zu werden, das hat man in den Bezirken im Gegensatz zur Bundesgeschäftsstelle verstanden.

SSt | An jenem Freitag habe ich mir gedacht, der Kitt, der in den letzten Jahren die Bruchstellen der Wiener Landespartei zugedeckt hat, ist endgültig gerissen. Gerade innerhalb des Gürtels, aber auch im 15. und 16. Bezirk wurde massiv um Eintritte geworben, während man aus den Flächenbezirken, wo die Parteirechte dominiert, nichts hörte. Wird es für Bürgermeister Michael Ludwig nicht langsam zum Problem, dass er an Pamela Rendi-Wagner festhält?

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