Kollontais Erbe

von Nina Bandi

437 wörter
~2 minuten
Kollontais Erbe
Kitchen Politics (Hg.)
Die Neuordnung der Küchen
Materialistisch-feministische Entwürfe eines besseren Zusammenlebens
Edition Assemblage, 2023, 187 Seiten
EUR 10,95 (AT), EUR 9,80 (DE), CHF 13,90 (CH)

Wie wollen wir wohnen, arbeiten, trösten, kochen, abwaschen und lieben?« So lässt sich der Denkrahmen dieses Sammelbandes in einer simplen und aus einer linken und feministischen Perspektive zugleich äußerst streitbaren Frage zusammenfassen. Herausgegeben hat den Band das Kollektiv Kitchen Politics in der gleichnamigen Reihe der Edition Assemblage mit dem Ziel, eine materialistisch-feministische und historisch informierte Auseinandersetzung mit den Bedingungen von Reproduktion und Sorgearbeit zu führen. Geschickt wird die Geschichte sozialistischer Feminismen mit einer breiter gedachten »feministischen Tradition praxisbezogener Diskussionen über die kollektive Organisation von Sorgearbeit« verknüpft.

Im Zentrum stehen die neue Übersetzung und die kritische Verortung eines Aufsatzes der russisch-sowjetischen Revolutionärin, Autorin und Diplomatin Alexandra Kollontai aus dem Jahre 1918 mit dem Titel »Familie und der kommunistische Staat«. Kollontai verfasste den Text in ihrer Zeit als Volkskommissarin für soziale Fürsorge, und so kommt diesem eine programmatische Rolle in Bezug auf die frühen revolutionären geschlechterpolitischen Bestrebungen in der Sowjetunion zu. Flankiert wird der Text einerseits von einem Gespräch mit acht unterschiedlichen feministisch-materialistischen Positionen aus dem postsozialistischen Raum Europas, wodurch sich eine aufschlussreiche Dezentrierung der deutschsprachigen Debatte ergibt. Andererseits schließen daran zwei Texte von Felicita Reuschling an, jener Mitstreiterin des Kitchen-Politics-Kollektivs, die 2019 verstarb und in deren Andenken der vorliegende Band entstand. Von ihr stammte auch die ursprüngliche Idee zu diesem Band, den Kollontai-Aufsatz neu auf Deutsch zu übersetzen und zugänglich zu machen. Sie hatte sich bereits 2010 und 2014 anhand der englischen Übersetzung eingehender mit dem Text befasst und eine kritische Analyse vorgelegt.

Weitere Kapitel befassen sich mit linker Lebensformenpolitik, mit der wichtigen Rolle der Frauenbewegung im Roten Wien und mit dessen Vermächtnis für eine feministische Stadtpolitik (geschrieben von der Wiener Historikerin Veronika Duma) sowie mit aktuellen städtepolitischen Debatten in Berlin. Die auf den ersten Blick eigenwillig anmutende Zusammenstellung der Texte erweist sich auf einen zweiten, vertiefenden Blick als eine äußerst gelungene Verbindung historischer und zeitgenössischer Debatten und ermöglicht eine Auseinandersetzung mit Sorge-, Raum- und Stadtpolitik von unterschiedlichen europäischen »Standorten« aus. Wie sich zeigt, haben diese historisch zwar vielfältige Prägungen erfahren, stehen aber dennoch in Bezug zueinander. Zudem leistet der Band einen wertvollen Beitrag zur kritischen Analyse und Verortung von Kollontais Schriften, denen in den letzten Jahren in der anglophonen Debatte eine gewichtige Rolle rund um einen neu artikulierten, feministischen Familien-Abolitionismus zukam (wie etwa im heuer erschienenen Die Familie abschaffen von Sophie Lewis). Auch wenn die Verbindung von Sorgepolitik und Raum- und Stadtpolitik theoretisch eher unterbestimmt bleibt, leistet der Band doch einen wertvollen und sehr lesenswerten Beitrag zu einer linken feministischen Auseinandersetzung mit Sorgearbeit – und allem, was dazugehört.

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