Schwelle zwischen Welten
von Andrea Heinz
EUR 20,00 (AT), EUR 20,00 (DE), CHF 27,90 (CH)
Es ist eine wahrlich wunderbare Insel, von der Eva Schörkhubers gleichnamiges Buch erzählt: eine fantastische Welt, in der Fische fliegen und Dinosaurier »ein prächtiges Leben« führen, inmitten einer üppigen Natur. Einzig zwei Dinge gibt es nicht auf dieser Insel: Menschen – und den Tod. Genau darum geht es in diesem Buch, dessen Untertitel dann auch lautet: »Nachdenken über den Tod«. Acht Jahre ist die Autorin alt, als sie scheinbar anlasslos während einer österlichen Kindermette eine bodenlose Angst vor dem Tod überkommt. Niemand kann sich so recht erklären, wo diese Angst herkommt, die das Kind wie einen dunklen Fleck im Gesichtsfeld wahrnimmt. Aber die Panik vor einer Welt »ganz ohne mich« überfällt sie immer wieder. Wenn sie deshalb nicht schlafen kann, beginnt ihr fünfjähriger Bruder, mit dem sie das Stockbett teilt, ihr von der wunderbaren Insel zu erzählen.
Der Bruder, Philipp Markus Schörkhuber, der auch die Illustrationen zu dem liebevoll gestalteten Band beigesteuert hat, kann sich an die von ihm einst erfundene Insel nicht mehr erinnern. Für Eva Schörkhuber aber nimmt die wunderbare Insel einen zentralen Platz ein in ihrem Versuch, sich dem alltäglichen und doch so fremden Faktum des Todes zu nähern. Auf gut 200 Seiten erzählt sie vom Tod ihres Vaters, der indirekt an den Folgen einer Lungentransplantation starb, und vom Freitod eines engen Freundes, durch den sie nur wenige Monate später überrascht wurde. Sie versammelt eigene Gedanken und Überlegungen ebenso wie unterschiedlichste Positionen von Denkerinnen, Autorinnen oder Wissenschaftern. Und erst beim Lesen des schmalen Bändchens wird einer bewusst, wie seltsam es ist: Alle müssen sterben, alle treibt dieser Fakt um – und doch tun wir die meiste Zeit unseres Lebens so, als gäbe es den Tod einfach nicht.
Natürlich findet auch Eva Schörkhuber kein Mittel, wie man dem Tod völlig versöhnt und furchtlos begegnen könnte. Sie geht aber auch weit darüber hinaus, nur eine (sehr schöne, kluge!) Sprache zu finden für eine Furcht, die wohl alle Menschen in der einen oder anderen Form umtreibt. Sie schlägt neue Arten vor, auf den Tod zu schauen: als etwas, das nicht nur die Hinterbliebenen, sondern auch die Verstorbenen verändern kann – eine Schwelle zwischen zwei Welten, wie der Fluss Lethe in der griechischen Mythologie. Sie versetzt sich mit Joan Didion in die Situation einer Frau, die von einer Sekunde auf die andere ihren Lebenspartner verliert, und folgt mit Péter Nádas einer Nahtoderfahrung. Dazwischen kommt sie immer wieder zurück zur eigenen kindlichen Todesangst, zur Ohnmacht angesichts eines Suizids, zum schmerzhaften Verlust des Vaters – ohne die tröstlichen, manchmal schlicht schönen Momente, die der Abschieds- und Sterbeprozess beinhaltete, zu vergessen. Denn auch die gibt es, und Versuche, eine entsprechende Sterbe- und Begräbnispraxis (wieder) einzuführen, etwa durch das Bestattungskollektiv Memento, das Schörkhuber vorstellt.
Und so ist das Buch nicht zuletzt Anstoß dafür, darüber nachzudenken, wie man selbst sterben möchte oder was es für Wege gibt, geliebte Menschen zu begleiten und zu verabschieden. Eines zumindest wird im Verlauf des Textes klar: Der Tod ist nicht der Feind. Er ist es, dem wir unser Leben verdanken, und wenn man ihm neugierig und offen begegnet, so wie Schörkhuber das in diesem Buch tut, kann das das Leben ungemein bereichern.
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