V or kurzem hatte mich eine Diskussion auf Ö1 über den Ukraine-Krieg dazu verleitet, das erste Wutmail in meinem Leben zu verfassen. Anlass gab mir eine Aussage der Moderatorin, in der sie ihre Zuhörer darauf hinwies, dass die von der russischen Armee vollzogene Belagerung Mariupols, auf welche die Teilzerstörung der Stadt am Asowschen Meer folgte, dass dieses Kriegsverbrechen also einige Kommentatoren in den einschlägigen deutschsprachigen Medien an die Schlacht von Verdun erinnerte. Man muss, glaube ich, nicht Politik- oder Geschichtswissenschaften studiert haben, um zu erkennen, wie einfältig, ja gefährlich ein solcher Vergleich ist: nicht nur, dass es höchstwahrscheinlich keine lebenden Zeugen mehr gibt, die die Schrecken von Verdun mit eigenen Augen sahen und sich aktiv daran erinnern könnten; der Vergleich überdeckt auch die Tatsache einer weitaus kürzer zurückliegenden Belagerung, in der man eine Entsprechung zu der Mariupols eher hätte finden können. Dass man ausgerechnet im deutschsprachigen Raum einen Vergleich mit der Blockade Leningrads scheute, sei der Erschöpfung geschuldet, die so eine gewissenhafte, allein dem Selbstzweck dienende Aufarbeitung der eigenen Geschichte mit sich bringt.
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