Ende Februar erschütterten sechs Femizide innerhalb kürzester Zeit Österreich – ein Land, das sich an Nachrichten über solche Taten leider gewöhnt zu haben scheint. Die Fälle – zwei »klassischerweise« durch den Ehemann respektive Vater verübt, der dritte durch einen Fremden an drei Sexarbeiterinnen – schienen wenig miteinander gemein zu haben. Doch schon wenige Stunden nach den Taten war in den Medien von »Femiziden« zu lesen. Obschon dieses Wort bereits 1976 geprägt wurde, war es bis vor zehn Jahren noch kaum jemandem hierzulande ein Begriff. Nachdem 2018 die Rate an Frauenmorden jedoch beträchtlich gestiegen war, wurde es zusehends geläufiger.
Dabei ist es gar nicht so einfach zu bestimmen, was genau einen Femizid ausmacht, wie Beate Hausbichler kürzlich im Standard feststellte. Nicht nur gebe es keine einheitliche Definition – was die Vergleichbarkeit, zum Beispiel unter europäischen Ländern, verhindere –, sondern auch eine Datenlücke in Österreich selbst. Da zu den entscheidenden Faktoren des Femizids die Verachtung von Frauen oder die gezielte Tötung wegen des Geschlechts gehören, solche Faktoren also, die in der Intention des Täters liegen, scheint die Schwierigkeit der Beurteilung in der Natur der Sache zu liegen. Selbst die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser (AÖF) listen die Verbrechen unter »mutmaßliche Femizide bzw. Morde an Frauen laut Medienberichten« auf. Eine letztgültige Klassifizierung ist selbst nach der Aufarbeitung oft schwer, die Erstbeurteilung kommt sowieso meist den Nachrichtenredaktionen zu.
Schon aus Laiensicht kann mehrerlei an einer so allgemeinen Verwendung des Wortes Femizid problematisch sein: Erstens könnte der Eindruck entstehen, dass es sich um eine neuartige Erscheinung handle, die – gerade in der Interpretation der FPÖ – am besten noch »durch die Zuwanderung« importiert worden sei. Dies ist, wie die Datensätze der Statistik Austria, die bis in die 1970er-Jahre zurückreichen, zeigen, in keiner Weise so. Bis kurz vor der Jahrtausendwende wurden nämlich in fast jedem Jahr mehr Frauen umgebracht als beim jetzigen »Rekord«. 1984 waren es 59 Frauen, 1990 noch 56 und selbst 2009 mit 32 Morden deutlich mehr als die 26 Femizide des Jahres 2023. Damit will ich den erneuten Anstieg von einem zum Glück seitdem gedrückten Niveau nicht verharmlosen. Aber dass die 2015 ins Land gekommenen Asylwerber für die Erhöhung verantwortlich seien, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl zuletzt behauptete, wird durch die Tatsache, dass im Höchststandsjahr 1984 nur knapp ein Achtel so viele Asylanträge gestellt wurden wie 2023, ad absurdum geführt. Dass das Wort Femizid im medialen Jargon erst verhältnismäßig kurz geläufig ist, verhehlt deswegen aber auch, dass tiefgreifende patriarchale Strukturen für sie verantwortlich sind, die Österreich seit vielen Jahrzehnten prägen.
Zuletzt aber, und das ist das wahrscheinlich Kontroverseste an der Kontroverse, macht die Einstufung aller Morde durch Männer an Frauen als Femizid es auch schwer zu verstehen, was ein Mord aufgrund des Geschlechts eigentlich im Kern ist. So listet die Vienna Declaration on Femicide als achten Punkt »weiblicher Kindsmord« auf. Dass aber jener Mann, der Ende vergangenen Jahres in Frankreich seine Frau und die vier Kinder ermordete, in zwei Fällen Femizide begangen, also die Mädchen mutmaßlich wegen ihres Geschlechts getötet hat, während die zwei Buben »einfach so« sterben mussten, erschließt sich nicht unbedingt. Hier wird der Mangel einer einheitlichen Definition schmerzlich bewusst. Vielleicht ist er aber auch ein Zeichen dafür, dass man von patriarchalen Strukturen, die sich durch alle Lebensbereiche ziehen, einfach niemals mit Sicherheit absehen kann.
Unbestritten ist – das zeigen auch die Studien –, dass sich die meisten Morde an Frauen gewisse strukturelle Ähnlichkeiten teilen. Natürlich fragt sich aber – und diese Frage steht schon seit längerem im Raum –, welche Maßnahmen einen Mörder im Bordell und einen unauffälligen Familienvater im Gewaltschutz gleichermaßen erreichen sollen, wie es Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) sich von einem runden Tisch mit den Institutionen erhofft. Ihre Beteuerung, dass Frauenhäuser und Polizei ausreichend ausgebaut seien, scheint wenig überzeugend. Von Maßnahmen, die das Kind beim Namen nennen – patriarchale Gewaltstrukturen nämlich, die schon den Kleinsten eingeimpft werden –, war jedenfalls nichts zu hören. Ohne dass sich in Sachen Datenerhebung und der Frage, was ein Femizid ganz spezifisch ist, wird auch der Erfolg der besten Präventionsideen unüberprüfbar bleiben.
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