Nostalgie und Zukunft

von Jana Volkmann

Editorial TAGEBUCH 4|2024

Neulich schickte mir ein Freund einen ganz fantastischen Cartoon, eine Zeichnung der Comickünstlerin Rosemary Mosco – allerdings nicht einfach als Bild, sondern als Link zu der Plattform Tumblr. Wie damals, circa 2011! Ich habe sofort begeistert mein dortiges Profil wiederbelebt und mich gegrämt, dieses schöne, merkwürdige, geeky Eck des Internets so lange vernachlässigt zu haben. Vor fünf Jahren hat Tumblr aufgrund umstrittener Verbote von »Erwachseneninhalten« ein gutes Drittel seiner User:innen eingebüßt und an das gleiche Unternehmen verkauft, das auch die Blogplattform WordPress betreibt. Neben den lauten Giganten wie Meta oder X wirkt Tumblr heute wie etwas, das unter dem Radar fliegt, und ja, auch ein wenig anachronistisch. Soll nichts Schlimmeres passieren? Was das Internet angeht, befinde ich mich in einem derart peinlichen Nostalgiemodus, nicht einmal Fredric Jameson könnte mir die Hand zur Rettung reichen und mich dort herausholen.

Dass es dafür Gründe gibt, die weniger meiner persönlichen Entwicklung hin zur Nörglerin zuzuschreiben sind als vielmehr der Zersetzung der Social-Media-Plattformen durch profitbesessene Unternehmer:innen, dank derer gesuchte und gewünschte Inhalte hinter immer höher werdenden Bergen aus personalisierten Werbeanzeigen verschwinden, darüber geben mehrere Texte im Schwerpunkt dieser Ausgabe Aufschluss. Wenn es um den Zerfall des Internets geht, ist die Debatte um künstliche Intelligenz (KI) nicht weit: Der verstärkte Einsatz ziemlich beschränkter KI verwandelt die einst lebhaften und zumindest halbwegs gedeihlichen Plattformen endgültig in geistige Wastelands. Um den Tech-Journalisten Ed Zitron zu zitieren, den Benjamin Opratko für diese TAGEBUCH-Ausgabe interviewt hat: »Es ist einfach Mist.«

So nett es auch sein mag, nach jahrelanger Abstinenz mal wieder Tumblr zu öffnen, aus reiner Nostalgie fürs Vergangene entsteht keine brauchbare Zukunftsvision. Dass auf diesem Misthaufen je wieder was Gutes wächst – damit meine ich verkürzt gesagt etwas, das in erster Linie der Erbauung von Menschen dient und nicht allein der Kommodifizierung unserer Daten –, scheint kaum vorstellbar zu sein, aber auch darum geht es in dieser Ausgabe: die Zukunft nicht den ewigen Wachstumsvisionen der Tech-Unternehmen zu überlassen. Die Coverstory von Felix Diefenhardt analysiert, wie es zu diesem »Business-Futurismus« kommen konnte und wie sich Versprechen für eine bessere Welt bei näherer Betrachtung mitunter als akzelerationistische Schnapsideen entpuppen.

Laura Hille bekommt in ihrem Essay die ideologischen Unterströmungen solcher Geschäftsmodelle zu fassen, die im provinziellen Silicon Valley ihren Anfang nehmen und sich von dort aus zu einer global wirksamen Ideenwelt voller Abgründe entwickeln. Die Vorstellung, dass Technologie und insbesondere künstliche Intelligenz einen risikofreien Ausweg aus den Miseren der Gegenwart böten, wird von besonders dogmatischen selbsternannten Optimist:innen mit regelrecht religiösem Eifer verbreitet. Im Silicon Valley wird eben nicht nur gecodet, sondern auch an allerhand Mythen gearbeitet – in wessen Interesse, kann man sich ausmalen. Vielleicht müsste man das Internet überhaupt erst einmal gründlich demystifizieren, ehe man eine neue, linke, gemeinschaftliche Vorstellung davon entwickeln kann, wie es auch sein könnte.

Dazu müsste gehören, die Sprache einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, mit der positive Erzählungen über künstliche Intelligenz verbreitet werden. Wie und weshalb euphemistische (ebenso wie abwertende) Metaphern – die allzu oft unhinterfragt übernommen oder zumindest hingenommen werden – die Semantik sozialer und politischer Begebenheiten verschieben können, zeigt Iuditha Balint in ihrer Kolumne »Kritik & Zärtlichkeit« am Beispiel des Sprechens über Arbeit (oder auch: über Privates in Arbeitsmetaphern). »Arbeit prägt das Leben. Vielleicht zu sehr?«, fragt sie. In diesem Sinne: Schönen Sommer!

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