Die bessere Zeitenwende

von Heinz Gärtner

394 wörter
~2 minuten
Die bessere Zeitenwende
Peter Brandt, Dieter Segert und Gert Weisskirchen (Hg.)
Doppelter Geschichtsbruch
Der Wandel in Osteuropa nach der Helsinki-Konferenz 1975 und die Zukunft der europäischen Sicherheit
Dietz-Verlag, 2024, 576 Seiten
EUR 39,95 (AT), EUR 38,00 (DE), CHF 49,90 (CH)

Die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Kooperation in Europa (KSZE) in Helsinki von 1975 ist wohl das historisch wichtigste Dokument der Nachkriegszeit Europas. Im Gegensatz zu den Sicherheitsstrategien der 1920er-Jahre vermied sie Ausdrücke wie Feind, Gegner oder Rivale. Der Schwerpunkt lag auf kooperativer und gemeinsamer Sicherheit. Sie unterstrich die Unteilbarkeit von Sicherheit, die Unverletzlichkeit der Grenzen, Gewaltverzicht und die Nichtein­mischung in innere Angelegenheiten. Der 1973 begonnene Verhandlungsprozess war auch eine Folge des sowjetischen Einmarschs in Prag 1968. Man wollte weitere Interventionen verhindern.

Diese Prinzipien sollten das »Sicherheitsdilemma« durchbrechen, das auf dem Höhepunkt der Blockkonfrontation entstanden war und das Aufrüstung, gegenseitiges Misstrauen und die Beschuldigung zur Folge hatte, der jeweils andere verfolge expansionistische Pläne.

Das günstige Klima, das für einen derartigen Prozess Mitte der 1970er-Jahre bestand, verschlechterte sich nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 und der Ankündigung sowohl von West als auch von Ost, neue Mittelstreckenraketen in Europa aufzustellen, was bei den Folgekonferenzen in Madrid (1980) und in Wien (1986–1989) deutlich wurde. Dennoch blieben die Prinzipien des Prozesses lange Zeit aufrecht und fielen auf fruchtbaren Boden bei Bürgerrechtsbewegungen und -initiativen in Osteuropa, insbesondere in der Tschechoslowakei. Die Charta 77 berief sich etwa ausdrücklich auf die Schlussakte von Helsinki. Neben Václav Havel war Zdeněk Mlynář einer der Autoren. Er hatte während seiner Studienzeit an der Lomonossow-Universität in Moskau im selben Schlafsaal wie Michail Gorba­tschow gewohnt.

Die Nato-Osterweiterung und zuletzt die russische Invasion in der Ukraine brachten eine »Zeitenwende«, die neue Aufrüstungsprozesse und den Vorrang von Sicherheit vor Politik und Diplomatie zur Folge hatte. In diesen Trend fügen sich auch der finnische und schwedische Beitritt zur Nato ein. An Finnlands Grenze entsteht bereits wieder ein moderner Eiserner Vorhang.

Trotz der »Zeitenwende« gibt es die Möglichkeit, die Prinzipien des KSZE-Prozesses wiederzubeleben – im Rahmen ihrer Nachfolgeorganisation, der OSZE, aber auch außerhalb. Solch eine Wiederbelegung wird nicht ohne die Einbeziehung des globalen Südens möglich sein, und sie wird ihren Ausgangspunkt nicht in der Schlussakte von Helsinki haben.

Es ist das große Verdienst dieses von Peter Brandt, Dieter Segert und Gert Weisskirchen herausgegebenen Bandes, die Aufmerksamkeit wieder auf die Normen und Ideen dieses Prozesses gelenkt zu haben. Er enthält zudem viele Länderstudien. In den Schlussfolgerungen wird sogar die Option angedacht, dass eine neue Ordnung ohne regionale Militärbündnisse entstehen könnte.

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