Klima und Klasse
von Julian Niederhauser
Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation
EUR 36,00 (AT), EUR 34,00 (DE), CHF 42,90 (CH)
Vier von fünf Österreicher:innen halten den Klimawandel einer Umfrage aus dem Vorjahr zufolge für ein ernstes Problem. Demgegenüber entfiel bei der letzten Nationalratswahl rund die Hälfte der Stimmen auf Parteien, die entschiedenen Klimaschutz entweder systematisch ausbremsen oder gar als Irrweg in eine »Öko-Planwirtschaft« sehen. Wer derartigen Diskrepanzen auf den Grund gehen und die tatsächliche Veränderungsbereitschaft der Menschen erfassen möchte, so die Grundannahme des Buches Der neue sozialökologische Klassenkonflikt, dürfe sich nicht von einzelnen verbalen Bekenntnissen irritieren lassen. Stattdessen gelte es, die vielfältigen sozialen Lagen in einer antagonistischen Gesellschaftsordnung und die damit korrespondierenden Einstellungsmuster in den Blick zu nehmen. Zum Vorschein kommt dann eine komplexe Konstellation mit mehreren Konfliktdimensionen, eben der »sozialökologische Klassenkonflikt«.
Gemeint ist damit, dass Kämpfe um Transformation »entlang einer Reihe von Bruchlinien verlaufen, die durch Klassenverhältnisse bestimmt sind«. Anstatt Interessenlagen einfach direkt aus der wirtschaftlichen Struktur abzuleiten, beziehen die Autor:innen subjektiv verinnerlichte Ansichten in Form von »sozial-ökologischen Mentalitäten« mit ein. Denn erst dann, wenn Menschen strukturelle Gegensätze auch habitualisiert haben, ließen sich diese einem Bourdieu’schen Verständnis folgend als Klassenkonflikt begreifen.
Vermessen wird in dem Buch, das aus einem mehrjährigen Forschungsprojekt hervorgegangen ist, der Transformationskonflikt in Deutschland auf der Basis eigens erhobener Umfragedaten. Daraus wird eine »Landkarte« aus zehn sozialspezifischen Mentalitätstypen bzw. drei zusammengefassten Spektren – einem »ökosozialen«, einem »konservativ-steigerungsorientierten«, einem »reaktiv-defensiven« – gezeichnet. Die Spannungen verlaufen nicht entlang einer einzelnen Achse, beispielsweise zwischen Reichen und Armen, sondern ziehen sich auch horizontal und diagonal zwischen Klassenfraktionen und Regionen durch den sozialen Raum.
In der Öffentlichkeit werde diese Multidimensionalität aber verkannt, teils sogar absichtlich verschleiert. Dass städtisch-akademische Ökos, wie von Linkskonservativen gerne behauptet, gegen die Umverteilung von Reichtum wären, entlarven die Autor:innen etwa als empirisch nicht haltbar. In aufgeheizten Zeiten hilft das Buch somit, das politisch-kulturelle Tagesgeschehen auf sein sozialstrukturelles Unterleben hin zu befragen und einzelne Streitpunkte zu kontextualisieren – nicht zuletzt solche, auf denen nicht explizit »Öko« draufsteht, etwa die Schuldenbremse oder Tarifverhandlungen.
Zum Schluss plädieren die Autor:innen für eine Transformationspolitik, die »weg von der Verantwortung des Individuums (…) und hin zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen nachhaltigen Handelns« führt. Und eine solche sei auch dringend geboten, drohe die sozialökologische Transformation in Deutschland doch angesichts einer Annäherung von liberal-konservativen und rechten Kräften zu scheitern. Hierzulande scheinen wir da schon ein Stück tiefer in der Scheiße zu stecken.
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