Biografie einer Unvollendeten

von Veronika Helfert

465 wörter
~2 minuten
Biografie einer Unvollendeten
Georg Spitaler
Hilde Krones und die Generation der Vollendung
Eine Spurensuche
Mandelbaum, 2024, 408 Seiten
EUR 29,00 (AT), EUR 29,00 (DE), CHF 39,50 (CH)

Als sich die SPÖ im April 1945 im von der nationalsozialistischen Herrschaft befreiten Wien neu konstituierte, war Hilde Krones (geb. Handl) nicht nur mit dabei, sondern wurde gleich Mitglied des (provisorischen) Parteivorstands und kurze Zeit später Nationalratsabgeordnete. In ihrer Partei jedoch als Dissidentin verschrien, der Nähe zur KPÖ verdächtigt und an den Rand gedrängt, wählte sie Ende 1948 mit nur 38 Jahren den Freitod. In seiner im Mandelbaum-Verlag erschienenen Biografie geht der Politologe Georg Spitaler dem Leben und Nachleben von Hilde Krones nach. Seine Studie bezeichnet Spitaler als »eine forschende Séance«, in der er »Fragen an die Medien des Nachlasses (richtet), auf der Suche nach den verschütteten Hoffnungen und ›lost futures‹ emanzipatorischer Politik, die in den Trümmern der Geschichte des 20. Jahrhunderts begraben sind«.

Krones, 1910 geboren, wurde im Roten Wien bereits in jungen Jahren politisch sozialisiert. Als Mitglied der SDAP und später als Revolutionäre Sozialistin war die »politische Praktikerin« Teil der »Generation der Vollendung«, wie sie Otto Bauer einmal nannte, also der Generation, die in ihrem Leben das Ende des Kapitalismus und das Kommen des (demokratischen) Sozialismus erleben würde. Mit Hoffnung auf diese kommende Zukunft blieb Krones auch während des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus politisch aktiv und machte sich nach 1945 daran, die Zweite Republik mitaufzubauen – gemeinsam zunächst mit ihrem Ehemann Franz Krones und später mit ihrem Freund Erwin Scharf. Eine Hoffnung aber, die, wie Spitaler schreibt, an den »grauen Alternativen im Nachkriegsösterreich des Kalten Krieges« scheiterte.

Es ist eine »Biografie in Begriffen und politischen Gefühlen«, die Georg Spitaler basierend auf dem umfangreichen Nachlass von Hilde Krones mit seinen rund 700 Briefen, Tagebüchern, Fotografien, Reden und weiteren Dokumenten vorlegt. Darin gibt uns der Autor nicht nur einen chronologischen roten Faden an die Hand, sondern führt uns tief hinein in seine Auseinandersetzung mit Krones’ aktivistischem und persönlichem Archiv und nimmt uns mit auf eine Suche nach den Spuren politischer Gefühle und ihres Stellenwerts für emanzipative Perspektiven. Diese Auseinandersetzung ist theoretisch reflektiert und zugleich persönlich. Auch wenn Spitaler eine beeindruckende Dichte an politik- und geschichtstheoretischen sowie queerfeministischen Autor:innen heranzieht, steht die Beschäftigung mit Hilde Krones’ »Geist«, ihrem Schreiben und Denken im Mittelpunkt.

Neben dem antifaschistischen Engagement sind es die Beziehungsweisen (Bini Adamczak) und Krones’ Reflexionen über Hoffnung, Schmerz und Liebe in Zeiten politischer Unterdrückung und Gewalt sowie ihre Erwartung eines (revolutionären) Neuanfangs, die Überraschungsmomente und Anknüpfungspunkte an heutige Fragen bieten. Erkennbar werden aber auch Leerstellen, so schweigen ihre Schriften weitgehend von Shoah und Stalinismus. Georg Spitalers Spurensuche im Nachlass von Hilde Krones hat aber nicht zuletzt zum Ziel, Perspektiven für die gegenwärtige politische Praxis zu finden, die in den verschütteten Möglichkeitsräumen vergangener revolutionärer Versuche und (kollektiver) Beziehungsweisen liegen könnten.

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