Feminismus um 1848
von Andrea Heinz

Ausgewählte Werke
EUR 26,00 (AT), EUR 26,00 (DE), CHF 33,40 (CH)
Die (Wieder-)Entdeckung in Vergessenheit geratener Autorinnen ist weit mehr als ein Modephänomen. Man kann dabei ganze Welten entdecken und feststellen: So konventionell, so eindimensional, wie es oft den Anschein hat, war die Welt auch in früheren Zeiten schon nicht. Im 19. Jahrhundert etwa, in dem Betty Paoli als Lyrikerin und Journalistin einige Aufmerksamkeit auf sich zog.
Die 1814 in Wien als Barbara Anna Glück Geborene war zu Lebzeiten eine Bekanntheit, sie traf in Salons auf Franz Grillparzer, war mit Adalbert Stifter befreundet und wirkte bestärkend auf junge Talente wie die Comtesse Marie Dubsky, besser bekannt unter ihrem späteren Ehenamen von Ebner-Eschenbach. Paoli, die sich schon als 16-Jährige als Gouvernante durchbringen musste, war da schon längst eine erfolgreiche Dichterin. Ab 1848 wurde sie zur ersten Journalistin Österreichs, veröffentlichte Essays oder Kritiken, etwa über die Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff. Daneben war sie auch als Übersetzerin für das Burgtheater tätig.
Dieser so bemerkenswerten wie lange aus dem Kanon verdrängten Frau spürt die Literaturwissenschafterin und Germanistin Karin S. Wozonig in einer umfassenden Biografie nach, die im Residenz-Verlag unter dem Titel Betty Paoli. Dichterin und Journalistin. Eine Biographie erschienen ist. Darin zeichnet sie nicht nur die skandalträchtigen Liebesbeziehungen der Dichterin nach oder ihr regelrecht zeitgenössisch anmutendes Leben im Hause ihrer besten Freundin Ida Fleischl, zusammen mit deren Ehemann und Kindern. Eine alleinstehende Frau also, die auch im 19. Jahrhundert deshalb nicht einsam sein musste, sondern im Gegenteil reiche soziale Beziehungen hatte. In erster Linie aber verfolgt die Biografie Paolis künstlerische Entwicklung inmitten der turbulenten Zeiten rund um die 1848er-Revolution.
Wer tiefer in das literarische Werk eintauchen will, findet im ebenfalls bei Residenz erschienenen »Ich bin nicht von der Zeitlichkeit!« eine sorgfältig edierte Zusammenstellung ausgewählter Werke inklusive Kommentar. In Gedichten wie An die Männer unserer Zeit begegnet man einer Autorin, die zwar durchaus den Konventionen ihrer Gegenwart verhaftet ist, aber geradezu rebellisch gegen Geschlechterungerechtigkeiten und das anschreibt, was wir heute als patriarchale Strukturen bezeichnen würden. Wie groß die Bandbreite der Themen und sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten ist, zeigt dagegen Das todte Kind: Hier betrauert sie unsentimental und sehr persönlich den frühen Tod ihres unehelichen Kindes.
Die Novelle Anna dagegen, der einzige Text dieser Gattung im Sammelband, zeigt mitreißend und spannend, wie ein eigentlich sehr privilegiertes bürgerliches Ehepaar alles verliert. Ins Unglück führt hier nicht nur die maßlose Selbstgerechtigkeit des Mannes, dem nichts wichtiger zu sein scheint, als für seine Ehrbarkeit allerorten bewundert zu werden. Sondern gerade auch die allzu große, selbstzerstörerische Unterwürfigkeit der Ehefrau. Ohne es auszuformulieren, beschreibt Paoli hier ihr aufklärerisch-feministisches Konzept, das sie an anderer Stelle so formuliert: »Soll die Stellung der Frau sich bessern, so muß vorerst der heillose Grundsatz aufgegeben werden, ein Mädchen wisse genug, wenn es sich nur einen Mann zu erobern verstehe.«
Eine Autorin, die zu entdecken sich unbedingt lohnt und die auch heute noch als feministisches Vorbild taugt.
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