Wer die Arbeiter sind
von Iuditha Balint
KRITIK & ZÄRTLICHKEIT #8 | Was sagt es über eine Bewegung und ihre Rezeption aus, wenn sie Frauen und trans Personen mindestens zur Nebensache machen?
Die historische Arbeiterbewegung wird selten gegendert, der Klassenkampf männlich gedacht. Das diskursive Miteinbeziehen nichtmännlicher Positionen stellt eine Ausnahme dar, obwohl es ab dem 19. Jahrhundert eine proletarische Frauenbewegung gab und auch Otto Griebels Gemälde Die Internationale (1929/30) mindestens drei weibliche Figuren zeigt. Natürlich waren Frauen in Organisationen der Arbeiter:innenbewegung vertreten und an Arbeitskämpfen beteiligt, ermöglichten diese, indem sie Care-Arbeit leisteten, oder organisierten sie selbst.
Was sagt das also über diese Bewegung und ihre Rezeption aus, wenn sie Frauen und trans Personen mindestens zur Nebensache machen? Magnus Hirschfeld, Arzt und Sexualwissenschafter, wurde 1904 aufgrund seiner Umfrage zu Homosexualität unter Metallarbeitern angefeindet, trans und queeren Menschen wurde die Öffentlichkeit ohnehin verunmöglicht. Texte über proletarische Kämpfe, in denen trans Figuren vorkommen, kenne ich nicht, Hinweise sind willkommen. Von Zusammenhalt, der männliches Heldentum feiert, habe ich viel gelesen, davon sind die Anthologien voll, die Forschung ebenfalls, auch meine. Die Verbindung zwischen Arbeiter:innenkampf und feministischen Bewegungen dagegen wird lediglich in Form von Berührungspunkten, Kreuzungen verhandelt, so etwa die sexuelle Aufklärung von Arbeiterinnen in Gina Kaus’ Front des Lebens, der 1928 als sozialkritischer Fortsetzungsroman in der Wiener Arbeiter-Zeitung erschienen ist. Oder in Berta Lasks Dokumentardrama Leuna 1921 (1927), das am Rande die Beteiligung von (Ehe-)Frauen an Arbeitskämpfen reflektiert.
Und heute, im literarischen Rückblick? Während in den Performing Arts die Arbeiter:innenbewegung immer mehr auf die Existenz von weiblichen, queeren und trans Positionen befragt wird, scheint sich die Literatur weniger dafür zu interessieren. Frauenbewegung und Solidarität ist in manchen Wien-Romanen ein Thema, so in Raphaela Edelbauers Die Inkommensurablen (2023) über den Vorabend des Ersten Weltkrieges oder in Katharina Adlers Ida (2019), die Freuds Dora neu fokussiert und mit ihr auch die Rolle der Frau in der Arbeiter:innenbewegung befragt. – Ich wünschte mir mehr davon. Denn die Arbeiter im Kampf waren Arbeiter:innen.
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