Der poetische Antikapitalist

von Jens Kastner

Foto: Sala de Arte Público Siqueiros

In Mexiko eine Legende, in Europa fast unbekannt: Der marxistische Kunsttheoretiker Alberto Híjar Serrano wird am 7. Dezember 90 Jahre alt.


1924 wörter
~8 minuten

Der bedeutende mexikanische Maler David Alfaro Siqueiros (1896–1974) hatte Alberto Híjar Serrano einst als seinen »theoretischen Erben« bezeichnet. Für die jungen Künstler:innen, die in den 1970er-Jahren in Mexiko neue konzeptuelle und aktivistische Kunstformen erprobten, war er zudem ein wichtiger Mentor. Eine von ihnen, die mexikanische Performancekünstlerin Maris Bustamante, beschrieb Híjar Serrano einmal als den neben dem Peruaner Juan Acha wichtigsten marxistischen Kunsttheoretiker der 1970er-Jahre in Lateinamerika. Seine Schriften intervenierten in Theoriedebatten und wirken bis heute in soziale Bewegungen hinein.

Híjar Serrano war bis zu Siqueiros Tod 1974 ein Schüler und enger Vertrauter des Malers und leitete danach den Veranstaltungs- und Ausstellungsraum »La Sala de Arte Público Siqueiros« (»Saal Öffentlicher Kunst Siqueiros«) in Mexiko-Stadt. Siqueiros war nicht nur neben José Clemente Orozco (1883–1949) und Diego Rivera (1886–1957) einer der drei großen mexikanischen Wandmaler, der seine Kunst im Auftrag des postrevolutionären Staates im öffentlichen Raum platzierte. Er war auch marxistischer Theoretiker und Aktivist, der in seiner stalinistischen Phase sogar ein Mordkomplott gegen Leo Trotzki anführte. Während Trotzki dieses Attentat noch überlebte, verbrachte Siqueiros dafür einige Monate im Gefängnis. Aus Mexiko ausgewiesen, arbeitete und lehrte er in Los Angeles und später in Chile. Die Kunsthistorikerin Raquel Tibol hat Siqueiros als Ausnahmekünstler beschrieben, der verhindern wollte, dass die künstlerischen Ateliers nur noch dazu dienten, »die kapitalistische Bewußtseinsindustrie mit grafischen Effekten zu beliefern«. Besonders wichtig war ihm die Formulierung von Karl Marx, dass die Produktion »nicht nur einen Gegenstand für das Subjekt, sondern auch ein Subjekt für den Gegenstand« herstelle. Nicht nur Bilder für Betrachter:innen, sondern die Subjekte selbst werden im gesellschaftlichen Produktionsprozess gemacht. Eine öffentliche Kunst, wie Siqueiros sie propagierte, sollte sich aktiv in die Herstellung neuer, befreiter Subjekte einbringen.

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