Wie wir untergehen

von Nikolaus Dimmel und Alfred Noll

Illustration: Lea Berndorfer

Es gibt keine ökosoziale Wende ohne einen starken, direktiven, und ja: autoritär agierenden Staat, der den Freiheiten des Produzierens und Konsumierens Schranken setzt. Eine Polemik.


4157 wörter
~17 minuten

Shakespeare, gewitzt wie er war, lässt in Hamlet die Figur Polonius sagen: »Beware / Of entrance to a quarrel, but, being in, / Bear’t that th’ opposed may beware of thee«, in der deutschen Übersetzung: »Hüte dich, in Händel zu geraten! Bist du drin, führ’ sie, daß sich dein Feind vor dir mag hüten!« Unser Ausgangspunkt ist, dass sich vor denen, die vorgeben, sich in den Streit um die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen einzumengen (vulgo: Die Grünen), niemand zu fürchten braucht – ganz im Gegenteil: Schon der kursorische Blick auf die grüne Tagespolitik lehrt, dass sich eine als Hoffnungsträgerin vermarktete politische Fraktion von dem Ziel abgewendet hat, gesellschaftliche Verhältnisse herzustellen, in denen die Menschen frei von der Herrschaft partikulärer Zwecksetzungen ihren Stoffwechsel mit der Natur und dessen Organisation aus Vernunftgründen selbst bestimmen können. Vernünftig wäre eine Gesellschaft, die ihre Produktivkräfte mit Rücksicht auf den Zusammenhang der Naturgegebenheiten und auf deren Reproduktion nutzt. Indes wurde ein Gutteil derer, die vormals Kritik am Naturverbrauch übten, nun vom politischen Theaterbetrieb aufgesaugt. Inbrünstig tragen sie ein von fremder Feder geschriebenes Stück vor. Wir sehen aus diesem Betrieb nichts kommen, was den Anforderungen der Zeit gerecht würde.

Im Kern des Streits um einen rationalen Stoffwechsel zwischen Natur und Gesellschaft steht die Erderwärmung. Sie ist Ergebnis eines Kriegs des Kapitalismus gegen die Erde, der, wie John Bellamy Foster in seinem 2020 erschienenen The Robbery of Nature erzählt, auf unerbittliche Weise geführt wird. Wir bewegen uns, selbst wenn wir den Kapitalverwertern jetzt in den Arm fielen und tatsächlich alle Räder stillstünden, auf eine bis zu drei Grad wärmere Welt zu. Diese Welt, das »Kapitalozän«, wird eine unbewohnbare sein, wenn diese Grenze überschritten wird. Einer der Chronisten dieser Epoche, David Wallace-Wells, entwirft in The Uninhabitable Earth für die Zeit nach dem Erreichen ökologischer Kipp-Punkte Bilder chaotischer Kaskaden, die gleich den apokalyptischen Reitern eine verbrannte Erde zurücklassen. 

Wird es dazu kommen? Die Bemühungen zur Reduzierung der Emissionen hatten auf globaler Ebene jedenfalls bislang keinen Erfolg. Die Erderwärmung birgt zivilisationsvernichtendes Potenzial.

Der Kernpunkt des Problems besteht darin, dass im quasianarchischen Ausgangszustand der Totalisierung von Markt und Wettbewerb Anreize bestehen, Dinge zu tun, die kumulativ zu einem erd- und zivilisationsverwüstenden Problem anwachsen. Nick Bostrom hat die daraus resultierende Sollbruchstelle des kapitalistischen Metabolismus in The Vulnerable World Hypothesis folgendermaßen definiert: »Es gibt ein Technologieniveau, auf dem im semi-anarchischen Ausgangszustand sehr viele Akteure den Anreiz haben, eine Handlung auszuführen, die für sich genommen kaum schädlich ist, deren kombinierte Wirkung jedoch die zivilisatorische Verwüstung bedeutet.« 

Jetzt weiterlesen? Das sind Ihre Optionen.

AKTUELLES
HEFT KAUFEN

Jetzt kaufen
Erhalten Sie um nur 8,50 Euro Ihren Online-Zugang zu allen Beiträgen dieser Ausgabe. Das gedruckte Heft erreicht Sie demnächst per Post.

JETZT
ABONNIEREN

Zu den abos
Mit einem Abo lesen Sie das TAGEBUCH online unlimitiert. Jede gedruckte Ausgabe erhalten Sie, je nach Modell, bequem per Post. Ab 29 Euro.
0

    Warenkorb

    Ihr Warenkorb ist leerZurück zum Shop