Aufrüstung durch Erinnern

von Erich Hackl

Die geschichtsrevisionistische Resolution des Europaparlaments, ihr Widerhall in Österreich und ihre wahren Ziele.

Ginge es mit rechten Dingen zu, dann würde der »Bund sozialdemokratischer FreiheitskämpferInnen, Opfer des Faschismus und aktiver AntifaschistInnen« vor Scham seine sofortige Selbstauflösung beschließen. Denn wozu braucht es einen Verein, der den Rechtsextremismus bekämpfen will und gleichzeitig, nämlich in der neuen Ausgabe seines Organs Der Kämpfer, den EU-Abgeordneten Günther Sidl die geschichtsrevisionistische Resolution des Europaparlaments, vom September letzten Jahres, in einer unbeholfenen Worthülsenprosa gutheißen lässt. Der Antrag war von polnischen und litauischen Parlamentariern eingebracht und mit Zustimmung fast aller österreichischen Abgeordneten inklusive des Genossen Sidl angenommen worden. (Allein die Grüne Monika Vana enthielt sich der Stimme, was auch kein Zeichen von Vernunft und Zivilcourage ist.)                

Unter dem Titel »Zur Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas« wird in der Resolution behauptet, dass der Zweite Weltkrieg die »unmittelbare Folge des berüchtigten Nichtangriffsvertrags zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion vom 23. August 1939« gewesen sei, dass beide Regime »gleichermaßen das Ziel der Welteroberung« verfolgt hätten und, ebenfalls zu gleichen Teilen, für abscheuliche »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« verantwortlich seien. Wie zur Zeit des Kalten Krieges werden die beiden Hauptkontrahenten als eineiige Zwillinge präsentiert. Waren die Totalitarismusapostel damals bemüht, die Hauptschuld am Weltkrieg vom Deutschen Reich auf die Sowjetunion abzuwälzen, um die in Amt und Würden auferstandenen Nazis rehabilitieren zu können, so geht es ihnen heute darum, das revanchistische Geschichtsbild von Polen und dem Baltikum auf ganz Europa zu übertragen. Diesem Ziel dient nicht nur der Beschluss, den 23. August als »Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer totalitärer Regime« zu begehen, sondern auch die kaum verhohlene Forderung, nach dem Vorbild osteuropäischer Staaten das Tragen oder Zeigen kommunistischer Symbole in der gesamten Union zu verbieten. »Das Europäische Parlament weist darauf hin, dass es im öffentlichen Raum einiger Mitgliedsstaaten (z.B. in Parks, auf Plätzen oder in Straßen) noch immer Denkmäler und Gedenkstätten gibt, die totalitäre Regime verherrlichen, was der Verfälschung historischer Tatsachen über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen des Zweiten Weltkriegs Tür und Tor öffnet.« In konsequenter Umsetzung der Resolution wird Sidl und Genossen also nichts übrigbleiben, als beim Schleifen des Heldendenkmals der Roten Armee auf dem Wiener Schwarzenbergplatz, der Grabsteine der für die Befreiung Österreichs gefallenen sowjetischen Soldaten und etlicher Mahnmale im KZ Mauthausen selbst Hand anzulegen. 

Viel zu spät, und auf die falsche Art, haben die österreichischen Lagergemeinschaften Ravensbrück und Dachau auf die Resolution reagiert. Zu spät, weil sie erst einmal die Stellungnahmen der nationalen Europaabgeordneten abwarten wollten; und falsch, indem sie per Internetpetition die Rücknahme der Entschließung jetzt von denselben Leuten fordern, die sie ein halbes Jahr zuvor verabschiedet haben. Was diese von den Opferverbänden halten, offenbart Sidl, indem er allen Einwänden mit dem Hinweis begegnet, dass sie »von altkommunistischer Seite« stammten.

Die polnische Rechte als Initiatorin der Resolution hat sich kaum bemüht, deren ideologische Funktion zu verschleiern: Mehrmals wird »die Stärkung der Widerstandskraft Europas gegen die aktuellen Bedrohungen von außen« beschworen, für die »die derzeitige russische Führung« mit ihrem »Informationskrieg gegen das demokratische Europa, der auf die Spaltung des Kontinents abzielt«, verantwortlich sei. Der spanische Journalist Rafael Poch hat in Zusammenhang mit der behaupteten Bedrohung daran erinnert, dass die Militärausgaben der Russischen Föderation vierzehn Mal geringer sind als die des Nordatlantischen Bündnisses an ihren Grenzen. Die Strategie der USA sei seit Jahren darauf gerichtet, einen selbständigen außenpolitischen Kurs der Europäischen Union zu verhindern. Dazu dienten ihr Länder wie Polen und die baltischen Staaten, die sich aufgrund ihrer leidvollen Geschichte bereitfinden, die künstlich geschaffenen Spannungen zwischen der EU und Russland aufrechtzuerhalten.

So ist die Resolution des Europaparlaments zu verstehen: als erinnerungspolitisches Mittel der Aufrüstung und nicht als Initiative zur Stärkung der »europäischen Wertegemeinschaft«, von der Günther Sidl treuherzig berichtet.

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