Geld und Leben

von Katharina Bacher

583 wörter
~3 minuten
Geld und Leben
Vea Kaiser, Gertraud Klemm, Doris Knecht, Lydia Mischkulnig, Angelika Reitzer, Eva Rossmann und Cornelia Travnicek
Die sieben Leben der Marie Schwarz
Molden, 2020, 144 Seiten
EUR 24,00 (AT), EUR 24,00 (DE), CHF 33,90 (CH)

Wenn sieben Schriftstellerinnen eingeladen werden, eine Biografie zu imaginieren, dann entstehen Texte, deren literarische Ansätze so unterschiedlich sind wie die entworfenen Leben selbst. Ausgangspunkt für die Autorinnen waren jene spärlichen Eckdaten, die bekannt sind von Marie Schwarz, einer Zwölfjährigen, die 1819 auf Empfehlung der Ursulinen ein Sparbuch mit einem 

Startguthaben von zehn Gulden erhielt – das erste von 100 gestifteten Sparbüchern für »würdige Kinder der unteren Klasse«. Dokumentiert sind darin Höhe und Zeitpunkt ihrer Ein- und Auszahlungen. 1896 erfolgte der letzte Eintrag, mehr ist über die reale Marie Schwarz nicht bekannt. 

Vea Kaiser überträgt Maries Leben ins 20. Jahrhundert und macht aus ihr die Inhaberin eines Leopoldstädter Cafés, die randalierenden Gästen und anderen Unwägbarkeiten souverän begegnet, sich in der Liebe aber verkalkuliert. Kaiser packt so viel schablonenhaftes Lokalkolorit in ihre Erzählung, dass die allzu bunt gezeichnete Marie daneben eher verblasst. Es ist Maries ehemalige Bankbetreuerin, die sich in einem schlicht gehaltenen inneren Monolog an Stationen aus Maries Leben erinnert und dabei ihre eigene Verlorenheit in der Gegenwart preisgibt. 

Schnörkellos ist die Sprache auch im Text von Gertraud Klemm, er zieht daraus aber seine Stärke: Klemms Marie, Vorzugsschülerin im miefigen Wien der 1970er Jahre, Tochter eingewanderter Polen, wird ungewollt schwanger. Das Sparbuch, das Schulfreund Herbert zum zwölften Geburtstag bekommen hat, finanziert die – noch – illegale Abtreibung. Klemm erzählt auf wenigen Seiten ein Stück österreichische Zeitgeschichte und erschafft mit scheinbarer Leichtigkeit einprägsame Figuren.

»Manchmal tut sie dir leid, aber meistens verachtest du sie einfach«: So denkt Doris Knechts Marie über die eigene Mutter. Am Beginn der Erzählung, die im heutigen Wien spielt, ist die ehrgeizige Marie 13 Jahre alt. Ihre alleinerziehende Mutter weiß mit den schulischen Ambitionen der Tochter wenig anzufangen. Trotz Arbeit findet sie kaum ein Auslangen, darum soll Marie möglichst bald Geld verdienen. Ein Stipendium für besondere schulische Leistungen wird für Marie zum Rettungsanker. Knecht erzählt eindringlich und unsentimental von Erwerbsarmut, sozialer Undurchlässigkeit und Selbstermächtigung. 

Ebenfalls in der Gegenwart angesiedelt ist Eva Rossmanns Erzählung – Marie begegnet uns darin in dreierlei Gestalt: in jener der Ich-Erzählerin, in der ihrer gleichnamigen Vorfahrin und schließlich in Gestalt einer aus Syrien Geflüchteten. Rossmanns stellenweise fast ein wenig aufdringlich aufs Hier und Jetzt bezogener Text verschränkt drei sehr unterschiedliche Biografien gekonnt ineinander und lässt die Ich-Erzählerin über soziale und ökonomische Verhältnisse nachdenken, ohne sperrig zu sein. Rossmann ist zudem die einzige der Autorinnen, die explizit zur Sprache bringt, dass die Wohltäterschaft einer Bank selten rein uneigennützig ist – was angesichts der Tatsache, dass die Erste Bank 2019 eine große Marketingkampagne rund um Marie Schwarz gestartet und laut Epilog auch das hier besprochene Buch in Auftrag gegeben hat, durchaus notwendig erscheint.

Lydia Mischkulnig, Angelika Reitzer und Cornelia Travnicek bleiben in ihren Texten jeweils den historischen Vorgaben treu: Marie begegnet uns darin als Unternehmerin, als Köchin, als Gesellschafterin, sie ist mal in einer lesbischen Beziehung, mal alleinstehend, mal alleinerziehend. Während sich Mischkulnigs Text, von einer auktorialen Erzählerin altklug dargebracht, ein wenig so liest, als würden die Ursulinen selbst aus Marie sprechen – fromm und bieder –, entwerfen Reitzer und Travnicek detailreiche und lebendige Texte mit großer Nähe zu ihren Figuren. 

Auf die beiden Autorinnen scheint zuzutreffen, was Travnicek an einer Stelle ihre Ich-Erzählerin denken lässt: »Am Hin und Her des Geldes können die Wissenden alles ablesen.«

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