In Bong Joon-hos Snowpiercer führen Kinder das Leben von Untoten, eingebaut in die Antriebsmaschine eines unermüdlich dahinrasenden Zugs. Man hat sie in Anhängsel eines Apparats verwandelt. Der Film des südkoreanischen Regisseurs beruht auf der Comicserie Le Transperceneige (»Der Schneebohrer«), die Jacques Lob und Jean-Marc Rochette ab 1982 in (À suivre), einer Monatszeitschrift des französischen Casterman-Verlags, veröffentlichten und die zwei Jahre später als Buch erschien. Ihre Graphic Novel erzählt von einem 1001 Waggons langen Zug, der nach einer großen Katastrophe über einen leeren, vereisten Planeten rast und nicht stehen bleiben darf. Er wird von einem Perpetuum mobile angetrieben, außerhalb des Zugs ist das Überleben unmöglich geworden. Mit seinen dystopischen Bildern lag der Comic ganz im Trend der Zeit, denn in den frühen achtziger Jahren war die Angst vor dem Klimakollaps allgegenwärtig. Allerdings drohte damals nicht die Erderwärmung, sondern eine Verdunkelung der Atmosphäre durch einen Atomkrieg. Das Wettrüsten zwischen den Systemen hatte die Menschheit seit dem Koreakrieg wiederholt an den Rand eines nuklearen Schlagabtauschs geführt, der nicht nur die radioaktive Verseuchung des Planeten, sondern auch eine jahrzehntelang andauernde Verdunkelung der Atmosphäre nach sich gezogen hätte. Le Transperceneige illustrierte diese kollektive Angst mit dem Bild einer Rest-Menschheit, die als Gefangene in einem Zug um etwas Licht, Wärme und synthetisch hergestellte Nahrung kämpft.
2013 brachte Bong Joon-ho den Comic unter dem Titel Snowpiercer ins Kino, allerdings mit einer Wendung, die vor allem den Chemtrail-Bewegten gefallen haben dürfte. Da ein nuklearer Winter in Anbetracht ständig neuer Hitzerekorde heute nicht besonders plausibel erscheint, wird die Eiszeit mit dem Kampf gegen den Klimawandel erklärt. Die erste Szene von Snowpiercer zeigt, wie Flugzeuge breite, weiße Bahnen auf einen strahlend blauen Himmel zeichnen. Dazu wird erläutert, dass die Staatengemeinschaft die Erderwärmung durch das Ausbringen von Aerosolen in der Atmosphäre zu stoppen versucht, dadurch jedoch eine unkontrollierte Kettenreaktion in Gang gesetzt habe. Die Erklärung hat einen sehr realen Hintergrund: Unter dem Stichwort »Geoengineering« wird seit einigen Jahren ernsthaft über die Frage debattiert, wie das Klima von Planeten transformiert werden kann. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Gedankenspiele für den Mars, den man durch sogenanntes Terraforming, also durch technische und chemische Eingriffe, bewohnbar machen möchte. Nein, mittlerweile soll auch der Klimawandel auf der Erde durch Geoengineering gestoppt werden. Ein viel diskutierter Ansatz hierfür besteht darin, Aerosole in der Stratosphäre zu verteilen, die – ähnlich wie es bei Vulkanausbrüchen geschieht – die Sonneneinstrahlung reduzieren und die Oberflächentemperaturen damit spürbar absenken würden. Der Meteorologe Paul Crutzen, der 1995 für seine Forschung über das Ozonloch den Nobelpreis für Chemie erhielt und als einer der Ersten den Begriff des »Anthropozäns«, also eines menschengemachten Erdzeitalters, prägte, plädiert in diesem Sinne allen Ernstes für Sulfatinjektionen in die Stratosphäre. Es ist ein neuerliches Beispiel für technologische Allmachtsfantasien, denn die Folgen des Geoengineering in einem komplexen System wie der Erde wären unabsehbar. So könnte absinkender Schwefel die Ozeane übersäuern, Mikroorganismen abtöten und die CO2-Aufnahmefähigkeit der Meere entgegen der beabsichtigten Wirkung verringern. Außerdem würde sich die Erderwärmung schlagartig beschleunigen, sobald die Schwefelpartikel aus der Stratosphäre verschwunden sind. Trotzdem wird ernsthaft über derartige Ansätze der »Klimapolitik« diskutiert. Eine aktuelle Studie hat sogar schon errechnet, dass die Verteilung von Aerosolen in der Stratosphäre mit neu zu entwickelnden Flugzeugen relativ preiswert wäre und nur etwa 2 Milliarden US-Dollar kosten würde.
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